Samstag, 20. April 2024
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Merkels Teilrückzug oder der „Fluch der halben Tat“

Bild © CC0 Creative Commons, @ Pixabay (Ausschnitt)

Genau genommen wird seit den deutschen Parlamentswahlen im vergangenen Herbst über den Rückzug von Angela Merkel spekuliert. Jetzt, wo sie erklärt, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren, brechen gleich alle Dämme.

Der Abstieg in der Wählergunst hatte sich bei CDU und CSU bereits im Wahlkampf des Vorjahres von Umfrage zu Umfrage abgezeichnet. Der „Liebesentzug“ durch die Wähler erfolgte dann am Wahltag. Seither geht es kontinuierlich bergab. Zuletzt in Bayern und Hessen. Angesichts der Nachwahlbefragungen, wonach jene Wähler, die der CDU (aber auch der SPD) den Rücken zuwandten, dies aus Unzufriedenheit und Verärgerung mit der Politik der GroKo taten, blieb der Kanzlerin keine andere Wahl als die Notbremse zu ziehen.

Trennung Partei- und Regierungsvorsitz schafft Probleme

Allerdings nicht wirklich konsequent. Sie will im Dezember am Parteitag nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren, sehr wohl aber bis zum Ende der Legislaturperiode Bundeskanzlerin bleiben. Ein Vorgehen, das an ein Zitat von Franz Grillparzer erinnert, wenn er in seinem Stück „Bruderzwist im Hause Habsburg“ vom einem „Fluch in unserem edlen Haus“ spricht und schreibt: „Auf halben Wegen und zu halber Tat, mit halben Mitteln zauderhaft zu streben“.

Merkel ist damit ihrer eigenen Linie durchaus treu geblieben. Sie hat es sich nämlich, wie es immer intern hieß, zum Ziel gesetzt nicht abgewählt zu werden sondern am Ende einer Legislaturperiode auszuscheiden. Ob dies allerdings auch angesichts dieser halben Lösung noch möglich sein wird, ist mehr als fraglich. Hängt doch das Schicksal der GroKo auch davon ab, ob die SPD – die gleichfalls schwer vom Wähler abgestraft wurde – überhaupt noch so weiterarbeiten will. Auch wenn es vorerst heißt, Reihen dicht geschlossen.

Dammbruch bei der Personaldiskussion

Merkel hat aber auch ihrer eigenen Partei keinen guten Dienst erwiesen. An sich geht es jetzt nicht um eine Not- oder Übergangslösung für den vakant gewordenen Parteivorsitz, sondern um die Neuaufstellung der Partei. Wer immer diese Funktion wahrnehmen und diese Aufgabe in Angriff nehmen wird, sollte bei der nächsten Wahl das Rennen um die Führung der Regierung bestreiten. Das ist mit dem Habitus des Bundeskanzlers leichter als wenn man nur aus der Position des obersten Parteiarbeiters agieren kann. Hinzu kommt, dass eine Trennung dieser beiden Funktionen zwangsläufig immer wieder zur Auffassungsunterscheiden und damit nur zu Reibungsverlusten führt.

Mit Merkels Verzicht auf die Parteiführung, kam es binnen weniger Stunden geradezu zu einem Dammbruch um das Nachfolgerennen. Ein Dammbruch, der auch zeigt, was sich da nach einer 18-jährigen Führungsrolle in der Partei und 13-jährigen an der Regierungsspitze an Frust aufgestaut hat. Immerhin hatte es Merkel geschafft, immer wieder potentielle Konkurrenten aus dem Weg zu schalten. Der einstige Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz hat jetzt gleich als einer der ersten Bewerber aufgezeigt. Gleichzeitig zeigt sich allerdings auch, dass in der CDU ein weitaus größere Parteireservoir besteht, als man in den letzten Monaten gedacht hätte.

Migrationsproblematik als auslösendes Moment

Die von Merkel als ihre Nachfolgerin gedachte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte es schwer haben, gegen eine Phalanx von Kandidaten zu bestehen, die vor allem eine Kurskorrektur erreichen wollen. Das verspricht Gesundheitsminister Jens Spahn, der sich als das Sprachrohr der jungen Generation versteht. Wie von EU-Infothek schon mehrmals beschrieben, werden nun aber auch offen die Namen der Ministerpräsidenten Daniel Günther und Armin Laschet sowie der Ministerinnen Julia Klöckner und Ursula von der Leyen für die Leitung der Partei im Berliner-Konrad-Adenauer-Haus zu führen.

Mit Aufmerksamkeit wird die Entwicklung auch von der Schwesterpartei CSU verfolgt. Ihr wird zwar ein gerüttelt Maß an Mitschuld für die Krise der GroKo zugeschrieben, aber wenn es um eine Weichenstellung für den nächsten Bundeskanzler gehen sollte, dann will auch München – wie schon in der Ära von Franz-Josef Strauß – ein Wort mitreden wollen. Und dabei wird auch jenes Thema wieder in den Blickpunkt rücken, das nach dem Debakel von CDU und SPD bei der Hessenwahl bisher ausgespart blieb. Ist doch das eingetreten, was Demoskopen und Politikwissenschaftler seit gut zwei Jahren konstatieren, nämlich dass die schwelende und ungelöste Migrationspolitik „die Wurzel allen Übels“ ist. Und Merkel hat mit ihren drei Worten „Wir schaffen das“, als der Flüchtlingstsunami über ein regungsloses Europa hereinbrach, dazu noch einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Kurz ersparte ÖVP ein Schicksal a la CDU

In der jetzt angelaufenen Diskussion über die Neuaufstellung der CDU wird immer wieder auf Österreich verwiesen und damit auf jenen Mann, der zwar ein Parteifreund Merkels aber so gar nicht ihre Kragenweite war. Für viele politische Beobachter ist es nach den Hessen-Wahl so richtig klar geworden, dass Sebastian Kurz im Frühjahr 2017 mit der lange vorgeplanten und schließlich fast überfallsartig durchgeführten Machtübernahme innerhalb der Volkspartei die richtige Weichenstellung getroffen hat. Mit dem Anspruch, für eine „Veränderung“ in der Politik zu sorgen, was insbesondere den Arbeitsstil der Regierung betrifft, trug er dem Bedürfnis breiter Teile der Wählerschaft Rechnung. Bei aller Kritik und Fehlerhaftigkeit mancher Vorhaben, die Öffentlichkeit goutiert, dass die Regierung endlich arbeitet und nicht streitet. Das wiederum ist genau der Kernpunkt der Kritik an der Arbeit der GroKo in Berlin.

Wäre Kurz im vergangenen Jahr nicht passiert, dann würde die ÖVP sich heute wohl in einer ähnlich miesen Lage befinden wie ihre Schwesterparteien CDU und CSU. Tatsächlich spielte die Überlegung, dass im Frühjahr 2017 der letzte Zeitpunkt bestand, um eine politische Wende herbeizuführen und die ÖVP wieder an die Spitze der Regierung zu bringen, die entscheidende Rolle bei den Parteigranden, den harten Reformkurs von Kurz auch zu akzeptieren. Im Gegensatz dazu befindet sich die SPÖ in einer deckungsgleichen Situation mit der SPD. Auch in Österreich müssen sich die Sozialdemokraten fragen, welches vor allem inhaltliche Angebot sie den Wählern machen müssen, um wieder breite Akzeptanz zu finden.

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