Mittwoch, 24. April 2024
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Länderquoten: Junckers zweiter Versuch

Na endlich. Jetzt hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den längst fälligen Vorschlag unterbreitet, wie die Union den Flüchtlingsstrom aus Syrien, Afghanistan und etlichen anderen Ländern bewältigen könnte. Vor den EU-Parlamentariern plädierte er für eine faire Verteilung von derzeit 120.000 Asylsuchenden auf 25 Mitgliedsstaaten – Großbritannien hat, so wie auch Irland und Dänemark, wieder einmal eine Ausnahmeregelung durchgesetzt.

Der Verteilungsschlüssel für die übrigen Länder hängt von deren Wirtschaftskraft, ihrer Einwohnerzahl, der aktuellen Arbeitslosenquote und den bisherigen Aktivitäten bei der Aufnahme von Flüchtlingen ab.

Auf Grund der von Kommission fixierten Quoten (siehe Tabelle) geraten jene Mitgliedsstaaten unter Druck, die sich bisher nicht engagiert und so getan haben, als würde sie diese Problematik nichts angehen: z.B. Polen, die baltischen Republiken, Tschechien, die Slowakei und etliche mehr. Der in Brüssel eingeschlagene neue Kurs kommt zugleich jenen Ländern entgegen, die bislang die Hauptlast tragen mussten: Griechenland, Italien und Ungarn, die hunderttausende Menschen an den EU-Außengrenzen in Empfang nahmen, sowie Deutschland, Österreich und Schweden, die bislang die meisten Asylwerber aufgenommen haben.

Jean-Claude Juncker hat im Europa-Parlament in Straßburg Formulierungen gebraucht, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigen ließen: Die derzeitige Flüchtlingskrise – seit Jahresbeginn haben sich fast 500.000 Menschen aus Krisengebieten nach Europa durchgekämpft – müsse „höchste Priorität haben“. Es sei folglich „Zeit für mutiges, entschlossenes und gemeinsames Handeln der Europäischen Union“. Diese sei allerdings „in keinem guten Zustand“, weil es „sowohl an Europa als auch an einer Union“ mangle. Jetzt wäre ein „großer Kraftakt europäischer Solidarität“ vonnöten. Insbesonders jene Mitgliedsstaaten, von denen er bislang „nicht die Unterstützung erhielt, auf die ich gehofft hatte“, dürfen Italien, Griechenland und Ungarn nicht einfach mit dieser Situation allein lassen.

Die Nagelprobe kommt in Kürze

Die Fakten seien zwar „für einige beängstigend“, weil die Griechen mit 213.000, die Ungarn mit mehr als 145.000 und die Italiener mit rund 115.000 Flüchtlingen zu Rande kommen müssen, doch alles in allem mache der Anteil der Asylsuchenden lediglich 0,11 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung aus. Im Vergleich dazu würden etwa die im Libanon aufgenommenen Flüchtlinge 25 Prozent der dortigen Einwohnerzahl ausmachen – dabei betrage der Wohlstand in diesem Staat gerade mal ein Fünftel des EU-Standards. Faktum ist, dass der Libanon schon weit mehr als eine Million Syrer in Camps untergebracht hat, während die Europäische Union mit nicht einmal der Hälfte überfordert zu sein scheint.

Nachdem Juncker bekanntlich nicht so wie beispielsweise Wladimir Putin funktionieren kann, der sozusagen auf Knopfdruck seine Vorstellungen und Pläne durchzusetzen vermag, konnte der Kommissionspräsident lediglich an die Mitgliedsstaaten appellieren, den Notfall-Plan der EU-Kommission bei der außerordentlichen Tagung des Rates am 14. September anzunehmen. An diesem Tag wird es jedenfalls eine Nagelprobe ersten Ranges geben, deren Ausgang nicht gerade mit übergroßem Optimismus bewertet werden kann. Denn der gängige nationale Egoismus und eine breite Ignoranz speziell in osteuropäischen Ländern dürften nicht so ohne Weiteres vom Tisch zu fegen sein.

Die polnische Ministerpräsidentin Ewa Kopacz beispielsweise, die  gemäß Brüsseler Verteilungsschlüssel insgesamt rund 12.000 Asylbewerber aufnehmen soll, gab nach Junckers Grundsatzrede ihre zögerliche Haltung  keineswegs auf: Ihr Land wäre zwar in der Lage, mehr als die bisher angebotenen 2.000 Flüchtlinge aufzunehmen, aber ihre Landsleute müssten zuvor überzeugt werden, dass diese Maßnahmen ihre Existenz nicht destabilisieren würden. Das heißt: In etlichen Ländern wird die Einhaltung der als verpflichtend gedachten Quoten höchst fraglich sein und letztlich kaum klappen – so wie bei der schon im Mai versuchten Verteilung von 40.000 Menschen auf ganz Europa.

Unangenehm fällt an der Brüsseler Quotenregelung etwa auf, dass sich Großbritannien wieder einmal eine Extrawurst gesichert hat und außen vorgelassen wird. Die Ankündigung von David Cameron, dass die Insel bereit wäre, 20.000 Syrer einreisen zu lassen – allerdings aufgeteilt auf fünf Jahre – klingt eigentlich wie ein Hohn. Der britische Premier begnügt sich mit matten Lippenbekenntnissen, während seine deutsche Kollegin Angela Merkel in den vergangenen Wochen endgültig zu einer europäischen Heldin avanciert ist.

Jean-Claude Juncker indes ist noch weit davon  entfernt, den Status als Hero genießen zu dürfen. Über seine Quotenregelung wird in den nächsten Tagen und Wochen von den Staats- und Regierungschefs noch viel diskutiert und gestritten werden – um das vorauszusagen, muss man kein begnadeter Prophet sein. Der EU-Präsident hat nur dann eine Chance, wenn er finanzielle Sanktionen gegenüber jenen Staaten einsetzen kann, für die Solidarität nur ein nebensächliches Schlagwort ist. Ohne solche Druckmittel wird die Union an der Flüchtlingsproblematik, die auch in den kommenden Jahren Thema Nummer Eins sein wird, kläglich scheitern.

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Es ist einfach beschämend: Der Vorschlag der EU-Kommission, 160.000 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und anderen Staaten auf die Mitgliedsstaaten nach einem Quotensystem aufzuteilen, wird wohl ein Wunschtraum bleiben müssen. EU-Präsident Jean-Claude Juncker erweist sich in dieser zentralen Frage der Union als vollkommen machtlos und kann offenbar gegen die nationalen Egoismen vielen Länder nichts unternehmen.