Dienstag, 19. März 2024
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Kartelle verteuern Autos in Europa

Kriminelle Energie sind die Wettbewerbshüter der EU-Kommission bei Unternehmen durchaus gewohnt. Jahr für Jahr verdonnert die EU-Kommission Firmen zu hohen Strafen, weil sie Kartelle bilden. Illegale Absprachen in bisher ungekannten Ausmaße fördern nun aber die Beamten von EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia in der Automobilbranche zutage. Für fast hundert verschiedene Teile hätten Zulieferer zu viel kassiert, sagt Almunia. „Wenn Sie die alle rot markieren würden, hätten Sie ein rotes Auto.“

[[image1]]In zwei Fällen hat die EU-Kommission schon Strafen verhängt, bei Kabelbäumen und Schaumstoffen. In diesem Frühjahr wird eine ganze Serie von Kartellbußen folgen. Die EU-Kommission ermittelt bei Wälz- und Gleitlagern, Lenkrädern, Sicherheitsgurten, Airbags und Klimaanlagen.

Über 70 Unternehmen waren möglicherweise an den Kartellen beteiligt. So manches Unternehmen stellt sich schon auf hohe Bußgelder ein. Der deutsche Wälzlagerspezialist Schaeffler hatte im vergangenen Jahr schon 380 Millionen Euro wegen zu erwartender Strafzahlungen zurückgestellt.

Der Kunde ist der Dumme

Der Dumme war vermutlich der Kunde, der bisher überhöhte Preise für sein Auto bezahlt hat. Experten schätzen, dass die Teile 75 Prozent der Kosten eines Pkw ausmachen, die Wertschöpfung bei den Herstellern ist nur noch gering. Entsprechend hoch könnte der Mehrpreis ausgefallen sein, den Kunden bisher bezahlt haben. Kommissar Almunia mag den Aufschlag nicht beziffern, so lange die Untersuchungen noch laufen. Er geht aber davon aus, dass die Hersteller, die Mehrkosten weiter gegeben haben: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese höheren Kosten an den Verbraucher weitergereicht wurden.“

Einzelne Unternehmen wie der Premiumhersteller BMW schließen aus, dass sie bei Mitgliedern des Kartells zu überhöhten Preisen eingekauft hätten. Mit abschließender Sicherheit wird sich das jedoch erst feststellen lassen, wenn alle Ermittlungsergebnisse auf dem Tisch liegen. Die Beamten der Generaldirektion Wettbewerb arbeiten mit großem Einsatz an den Fällen, damit sie noch in der Amtszeit der aktuellen Kommission im Oktober  abgeschlossen werden.  „Da kommt Druck von ganz oben, damit die Untersuchungen rechtzeitig beendet sind“, beobachtet ein Anwalt. Der Brüsseler EU-Kommission ist durchaus daran gelegen, positive Schlagzeilen zu produzieren, indem sie Verbraucher schützt.

Völlig neue Dimension der Preisabsprache

In Brüssel kann sich niemand erinnern, dass eine Branche schon einmal in derart großen Umfang von Kartellen durchzogen war. „Wir sehen hier eine völlig neue Dimension“, sagt ein Wirtschaftsvertreter. Mit den Kartellen haben sich die Zulieferer gegen die hohe Verhandlungsmacht der Hersteller gewehrt. Es ist seit Jahren bekannt, dass Automobilhersteller versuchen, die Preise der Zulieferer zu drücken, so dass in der Branche ein harter  Wettbewerb herrscht. Die Zulieferer haben sich in der Folge zu dem zusammengeschlossen, was Anwälte „defensive Pakte“ nennen.

Interessanterweise haben nicht etwa die Hersteller die überhöhten Preise der Kommission signalisiert. Die Untersuchungen der europäischen Wettbewerbshüter kamen ins Rollen, weil sich Unternehmen selbst angezeigt haben. Eine Selbstanzeige ist durchaus attraktiv:  Unternehmen kommen straffrei davon, wenn sie ihre Mitgliedschaft in einem zugeben und Beweise gegen die anderen Mitglieder des Kartells vorlegen. Dabei müssen sie angeben, auf welche Art etwa Preise abgesprochen oder Märkte geographisch wurden. Oft kommt es zu einer Selbstanzeige, weil das Management wechselt und ein neuer Vorstandsvorsitzender die illegalen Absprachen seines Vorgängers nicht fortsetzen will.

Hat sich erst einmal ein Unternehmen angezeigt, ist der Anreiz für die anderen Teilnehmer des Kartells groß, ebenfalls zu gestehen. Wer schnell genug seine Bereitschaft zur Aufdeckung des Kartells signalisiert, kann auf einen Abschlag auf die Strafe hoffen, im besten Fall von 50 Prozent. Bei Strafen, die bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes ausmachen können, geht es bei den Abschlägen um große Summen.

Die Kartellstrafen kommen übrigens allen Steuerzahlern zu Gute, weil sie in den allgemeinen EU-Haushalt fließen. In den vergangenen Jahren hat es sich dabei überwiegend um Milliardenbeträge gehandelt. Rekordjahr war 2010, als die Kommission 2,9 Milliarden an Kartellbußen verhängt.

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