Freitag, 29. März 2024
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Haben Europas Bürger zu viel oder zu wenig Macht?

Immer öfter stößt in Europa das wirklich oder vermeintlich Notwendige mit einem anderen ehernen Grundprinzip zusammen: mit dem demokratischen. Immer öfter stößt man als Folge auf die Forderung, die Demokratie substanziell einzuschränken. Die Machthaber wollen nicht durch die Bürger gestört werden, weil diese nicht so viel Einsicht hätten wie die Politiker.

[[image1]]Liberale sehnen die Zeiten zurück, da nur wählen durfte, wer auch Steuern zahlt. Und Linke haben seit 1968 die extrem undemokratische Praxis, Andersdenkende erst gar nicht zu Wort kommen zu lassen oder gar physisch zu verfolgen. So wie es die protonazistische Rechte in den 20er und 30er Jahren getan hatte.

Der deutsche Verteidigungsminister De Maiziere musste dieser Tage deswegen sogar nach einem halbstündigen Versuch einen Vortrag an der Berliner Humboldt-Universität abbrechen, weil Linksradikale den Gast „erfolgreich“ sabotiert haben. Und weil der dortige Rektor wie viele Professoren nicht gerade standfest reagierte.

Dass solche Extremisten nicht die Antwort auf die Krise der Demokratie sind, braucht wohl nicht weiter bewiesen zu werden. Wer Andersdenkende nicht reden lässt, ist Exponent eines neuen Faschismus. Wer sich vor Argumenten so fürchtet, dass er ihre Formulierung verhindern will, hat in Wahrheit selber sehr schlechte Argumente. Oder gar keine.

Das Demokratieproblem der Euro-Retter

Damit ist aber die Frage nach der Zukunft der europäischen Demokratie noch keineswegs beantwortet. Denn die Krisensymptome sind ja trotzdem vorhanden. Man schaue nur auf die diversen Wahlergebnisse in Europa. Je verantwortungsloser eine Gruppe agiert, umso eher hatte sie zuletzt in den Krisenstaaten Chancen, gewählt zu werden. Damit wird es aber auch immer schwieriger, das umzusetzen, wozu sich Europa, oder konkreter: Deutschland, seit 2010 entschlossen hat, als mit Griechenland der erste EU-Staat zahlungsunfähig geworden ist: Zahlungsunfähige Staaten werden entgegen der ökonomischen Vernunft gerettet, aber zugleich werden sie mit sehr strengen Sanierungs- und Sparsamkeitsauflagen zugedeckt.

Nur: Was tut man, wenn diese Staaten zwar die Rettungsgelder begierig aufgreifen, aber nach der Reihe die hoch und heilig beschworenen Sanierungsauflagen unterlaufen?

• Zahlreiche Schuldenländer sagen sogar jetzt schon, dass ihre Defizite auch 2013 deutlich größer werden als noch im Vorjahr garantiert.
• Griechenland hat seine Beamten trotz eindeutiger Verpflichtungen noch immer nicht abgebaut.
• Zyperns Parlament hat die einzig sinnvolle und von der Regierung schon ausverhandelt gewesene Formel zur Bankensanierung abgelehnt.
• Frankreichs Regierung treibt in sensationellem Masochismus riesige Vermögen aus dem Land.
• Und immer öfter dekretieren schlitzohrige Richter wie etwa zuletzt in Portugal: Sparen, nein danke.

Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Die Drohungen sind als leer entlarvt

Was tun? Europas Drohungen und Forderungen werden gegenüber solch passiver Resistenz immer unglaubwürdiger. Allzu oft hat man schon gesagt: Wenn ihr dies und jenes nicht umsetzt, gibt es kein Geld von uns mehr. Es hat am Ende aber doch immer Geld gegeben, obwohl nicht umgesetzt worden ist.

Wer immer nur droht, aber seine Drohungen nie verwirklicht, wird halt am Ende nicht mehr ernst genommen. Aus dieser Falle kommt Europa nicht mehr heraus. Die ganze Union weiß jetzt: Die Euro-Länder haben lieber Billionen an Krediten und Haftungen hergegeben, statt einmal Konsequenz zu zeigen. Sie meinen, kein Land dürfe zahlungsunfähig werden.

Die Eigenverantwortung wurde ignoriert

Die Finanzakrobaten haben dabei aber eines vergessen: Europa besteht aus Demokratien und Rechtsstaaten. In einem solchen System müsste man endlich das entscheidende Schlüsselwort (wieder) entdecken. Und das heißt: Eigenverantwortung.

Wer weiß, dass er selbst ganz alleine die Folgen seines Handelns tragen muss, der handelt ganz anders. Der wirtschaftet sparsamer und verantwortungsbewusster. Nationen, die wissen, im Eventualfall die eigene Zahlungsunfähigkeit auslöffeln zu müssen, akkumulieren nicht solche gigantische Staatsverschuldungen, wie es bei uns seit 1970 passiert. Sie tolerieren kein Pensionssystem, das zum Kollaps führen muss. Sie verteilen das Geld nicht sinnlos an lauter gutmenschliche oder interessenpolitische Lobby-Organisationen. Sie geben keine leichtfertigen Einlagegarantien an alle Sparer.

Was die Bürger wieder lernen müssen

Ein Staatsbankrott in Europa wäre auch sehr heilsam für die Zukunft der Demokratie. Denn erst wenn (wieder) klar ist, wie katastrophal sich ein Staatsbankrott zwangsläufig auf alle Bürger auswirkt, werden auch diese anders handeln. Sie werden dann kaum mehr ihre Stimme jenen geben, die lauten Populismus verbreiten und ohne Rücksicht auf Finanzierungsmöglichkeit versprechen: Wenn Ihr uns wählt, dann ist die Rente sicher, dann gibt es ständig und jedes Jahr von allem mehr. Und jedenfalls nie weniger.

Die Eigenverantwortung des Wählers ist jedoch völlig in Vergessenheit geraten. Fast alle Parteien haben immer nur versprochen und gefordert, aber nie auf die unvermeidlichen ökonomischen Konsequenzen hingewiesen. Da ist es besonders erschreckend, wenn die (meist noch total unreifen) Erstwähler jetzt überall als Teil ihrer politischen Erziehung in den Schulen zu hören bekommen: „Was hast du davon, wenn du die oder jene Partei wählst?“ Das „Was hast du davon“ bedeutet schlicht den Ratschlag: Wählt den, der euch die meisten Zuckerln verspricht, auch wenn sie auf Schulden angeschafft sind.

Auch Wut und Zorn rechtfertigen keine Fehlentscheidungen

Wobei auch Zorn über Fehler der demokratischen Parteien der Mitte keine Reduktion der Schuld darstellt. Das müsste auch – um wieder in die Gegenwart zu wechseln – den vielen Italienern endlich klar werden, die sich aus dumpfer Wut einfach für einen Kabarettisten ohne jedes ernsthafte Programm entschieden haben.

Das beste Beispiel, wie positiv sich eine Kultur der bürgerlichen Verantwortung auswirkt, ist hingegen die Schweiz: Dort produziert die direkte Demokratie viel bessere inhaltliche Ergebnisse als die paternalistische Repräsentativdemokratie. Bürger handeln viel verantwortungsbewusster, wenn sie überzeugt sind, dass sie selber die Folgen tragen zu müssen.

Indirekt, repräsentativ gewählte Gesetzgeber agieren hingegen viel stärker opportunistisch und populistisch, weil sie die Bürger als weitgehend unfähig behandeln. Erwachsene Bürger fühlen sich als Folge auch oft wie Kinder und führen sich so auf; auch beim Wählen haben sie es dann verlernt, an die eigene Mitverantwortung zu denken.

 

Bild: HAUK MEDIEN ARCHIV/Alexander Hauk/www.alexander-hauk.de/PIXELIO/©www.pixelio.de
 

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