Dienstag, 19. März 2024
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Grenzenlose Schnüffel-Kumpanei

Big Data ist vor allem milliardenschweres Big Business. Auch in Europa. Schon im nächsten Jahr könnten mit entsprechender Schnüffel-Hardware und –Software allein in Deutschland eine Milliarde Euro umgesetzt werden. Die jährlichen Wachstumsraten liegen bei 30 Prozent. Geheimdienste, Behörden und Wirtschaft wollen den absolut transparenten Bürger. Das sichert ihnen Macht und gute Geschäfte.

[[image1]]Wer glaubte, die Höhe der weltweiten Staatsschulden würde bereits Größenordnungen erreichen, die man gemeinhin als „astronomisch“ zu bezeichnen pflegt, hat sich wohl noch nicht mit der globalen Datengier beschäftigt. Am Rande des Jahreskongresses des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft im Frühjahr war von ganz anderen Zahlen die Rede: Tag für Tag entstehen rund um den Globus etwa 2,5 Trillionen (!) neue Daten. Und das bei zunehmender Dynamik. Rund 90 Prozent des heutigen Datenbestandes fielen in den letzten beiden Jahren an. Da klingt es nicht gerade beruhigend, dass sich rund 80 Prozent dieser Datenbestände in den Händen von Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen befinden.

Doch bemerkenswert: Obgleich die Menschen und die Gesellschaften inzwischen so „gläsern“ sind wie nie zuvor, wird allenthalben noch mehr Transparenz eingefordert. Der US-Geheimdienst NSA fischt ungeniert und in großem Umfang Daten aus der vernetzten Welt. Ob E-Mails, Chats, Telefongespräche per Internet oder Suchanfragen im Netz – alles fließt in die US-Rasterfahndung „Prism“ ein. Die – natürlich – einzig und allein der Terrorabwehr dient.

Britischer Geheimdienst: Fangflotte im Netz

Aber auch die Europäer sind nicht zimperlich. So soll der britische Geheimdienst GCHQ auf eine Vielzahl von Faserwellenleiter-Verbindungen zugegriffen haben, über die rund 95 Prozent des internationalen Online-Datenverkehrs laufen. Auf diese Weise werden nach einem Bericht der Zeitung „The Guardian“ E-Mails und Telefongespräche ausgeschnüffelt. Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND wiederum fing allein im Jahr 2010 rund 37 Millionen E-Mails ab.

Und da es nicht nur gilt, angeblichen Terroristen das Handwerk zu legen, sondern auch Geldwäschern an den Kragen zu gehen, einigten sich die G-8-Staaten auf ihrem jüngsten Gipfeltreffen in Nordirland auf einen internationalen Datenaustausch, sprich: grenzüberschreitende Kontenschnüffelei. Ist bald der Beichtstuhl der einzige Ort, an dem ein Geheimnis nicht automatisch als suspekt gilt? Sind Geheimnisse potenziell kriminell, wie manche Diskussionsbeiträge der jüngsten Vergangenheit insinuieren?

Offensichtlich nur dann, wenn es um Geheimnisse der Bürger geht, die in liberalen Rechtsstaaten eigentlich Teil der Privatsphäre sein sollten. Die Staaten selbst jedoch, die handelnden Politiker und Behördenvertreter haben sich immer wieder als die größten Geheimniskrämer erwiesen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das vorerst am Widerstand des EU-Parlaments gescheiterte ACTA-Handelsabkommen gegen Produktpiraterie. Es war größtenteils hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden. Nun ist zu befürchten, dass die Gespräche über das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen TAFTA ähnlich „diskret“ verlaufen werden. Die EU-Parlamentarier werden sich wohl mit regelmäßigen Briefings durch die Kommission begnügen müssen. Kritiker befürchten, im Rahmen der TAFTA könnten die europäischen Datenschutzstandards weiter aufgeweicht werden.

Weniger Datenschutz, dafür aber Transparenz ohne Ende – das stärkt die Macht und bereitet die Grundlage für milliardenschwere Geschäfte. Wissen ist Macht. Je mehr die Staaten über ihre Bürger wissen, desto mächtiger sind sie. Der deutsche SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist in den vergangenen Monaten in so manches Fettnäpfchen getreten. Doch seine Feststellung, völlige Transparenz gebe es nur in Diktaturen, mag zwar undifferenziert klingen, enthält aber das berühmte Körnchen Wahrheit.

Big Data ist aber auch Big Business. Nicht zuletzt für die Werbewirtschaft. Denn Big Data, also die industrielle Nutzung der zunehmenden Datenflut, revolutioniert das Customer Relationship Management in seiner bisherigen Form. Wer wissen will, was seine Kunden wünschen, braucht bald keine Marktforschung im klassischen Sinne mehr. Statt dessen werden Wortwechsel im Kurznachrichtendienst Twitter analysiert und passende Werbebotschaften zu den gerade diskutierten Themen platziert. Auch Facebook liefert höchst interessante Erkenntnisse. Kein Wunder also, dass allein Twitter im vergangenen Jahr schätzungsweise 288 Millionen US-Dollar an Werbeeinnahmen erzielte.

Milliarden-Umsätze mit Schnüffel-Systemen

Kreditauskunfteien denken daran, Facebook-Profile auszuwerten, um die Zahlungsfähigkeit der Nutzer zu prüfen. In Deutschland planten Einwohnermeldeämter im Jahr 2010, Adressen zu verkaufen. Nur massive Proteste der Bürger verhinderten diesen für die klammen Kommunen höchst lukrativen Deal. Pro Datensatz, so ist zu hören, zahlen Adresshändler in Europa zwischen 5 und 15 Euro.

Das Big Business mit Big Data hat dabei gerade erst begonnen. Nach aktuellen Schätzungen dürften im nächsten Jahr in Deutschland mit Schnüffel-Systemen (Hardware, Software und Services) rund eine Milliarde Euro verdient werden. Und das ist erst der Anfang. Experten rechnen künftig mit jährlichen Wachstumsraten von 30 Prozent und mehr. Die digitalen Schnüffler haben es vor allem auf Mobile Apps, Cloud Computing und Social Media abgesehen.

Alarmierend stimmen müsste eigentlich auch die Kumpanei zwischen den Technologie-Konzernen im Silicon Valley und den US-Behörden. Im Jahr 2010 etwa heuerte der ehemalige Facebook-Sicherheitschef Max Kelly beim amerikanischen Geheimdienst NSA an. Was er dort wohl treibt?

Der freiwillige Daten-Exhibitionismus der Bürger in den sogenannten Social Media erleichtert den digitalen Schnüfflern das Geschäft. Der moderne Mensch soll transparent sein. Das gilt natürlich nicht für die Geheimdienste. Wohin es führen kann, wenn einer deren Machenschaften an die Öffentlichkeit bringt, erfährt derzeit der Whistleblower und Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden. Ihm drohen zehn Jahre Haft.

Vielleicht sollte man künftig wieder häufiger Briefe schreiben.

 

Bild: S.Geissler / pixelio.de/ © www.pixelio.de

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