Mittwoch, 24. April 2024
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Frankreich: Eine Front gegen die Demokratie

Das ist gerade noch einmal gut gegangen: Der Front National konnte zwar bei der zweiten Runde der französischen Regionalwahlen erneut an Stimmen zulegen, aber in keiner einzigen der 13 Regionen gewinnen. Parteichefin Marine Le Pen hat mit ihren rechtsextremen Positionen – auch wenn fast sieben Millionen Franzosen für sie votierten und sie damit 27 Prozent der Wählerinnen und Wähler überzeugen konnte – eine herbe Schlappe erlitten.

Im ersten Wahlgang noch in sechs Provinzen auf Platz Eins gelegen, ist die Rechtspopulistin letztlich am französischen Mehrheitswahlrecht gescheitert. Und an einem bemerkenswerten Schachzug der beiden gegnerischen Lager: Denn Linkswähler haben diesmal in einigen Regionen auf Empfehlung von Premierminister Manuel Valls sogar massenhaft für Nicolas Sarkozys Konservative gestimmt, offenbar weil sie die Demokratie retten wollten.

Freuen kann sich derzeit dennoch kaum jemand in Frankreich: Die Konservativen stellen zwar in sieben Regionen die Regierung, die Sozialisten sind in fast so vielen Gebieten vorne, aber für beide Oberbosse, Sarkozy und Hollande, schaut‘s dennoch ziemlich traurig aus, was die Zukunft anlangt. Denn der Front National schickt sich an, von der latenten zu einer definitiven Bedrohung der Grande Nation zu werden – bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017. Diese rechtsextreme, populistische und rassistische Partei, die bereits seit 1972 existiert, ist bei Parlamentswahlen mit lediglich 1,3 Prozent der Stimmen gestartet und konnte 1997 mit fast 15 Prozent ihr bisheriges Spitzenresultat feiern. Ihr Langzeit-Führer Jean-Marie Le Pen hat schon an  fünf Präsidentschaftswahlen teilgenommen, wobei er 2002 im 2.Wahlgang mit 17,8 Prozent das beste Ergebnis schaffte. Auch wenn der Alte langmächtig eine – wie die Franzosen sagen – politische Quantité negligeable war,  hat er Frankreichs Staatspräsidenten wie den liberal-konservativen Valéry Giscard d‘Estaing, den Sozialisten Francois Mitterand, aber auch  Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy gleichermaßen sekkiert und unentwegt provoziert.

Im Jänner 2011 übernahm Tochter Marine das Kommando beim FN, der lange wie eine Art Familienbetrieb geführt wurde. Sie holte sich ein Jahr später bei den Präsidentschaftswahlen fast 18 Prozent der Stimmen und erzielte bei den Europawahlen 2014 das Rekordergebnis von rund 25 Prozent. Obwohl der Front National im französischen Senat, also dem Oberhaus, überhaupt nicht und in der Pariser Nationalversammlung derzeit lediglich mit zwei Mandataren vertreten ist – eine davon ist die erst 26-jährige Marion Maréchal-Le Pen, Enkelin des Parteigründers sowie Nicht von Marine – war er damals stimmenstärkste Partei und konnte mit 24 Abgeordneten ins EU-Parlament einziehen. Kurz darauf überwarf sich Marine endgültig mit ihrem greisen Vater, dessen gräßliche Sager ihr extrem auf die Nerven gegangen sind. Sie entfernte den Alten, der offensichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, als Ehrenvorsitzenden der Partei. Der mittlerweile 86-Jährige würde, beklagte sie sich, eine Politik „zwischen Strategie der verbrannten Erde und politischem Selbstmord“ betreiben.

HC Straches politisches Herzblatt

Von Marine Le Pen sind zwar rhetorische Entgleisungen, die ihrem Herrn Papa ca. 20 Verurteilungen wegen Leugnen des Holocaust, Aufrufs zu Rassenhass und anderen gravierenden Ausrutschern eingetragen haben, so gut wie nicht überliefert, doch im Prinzip vertritt sie weiterhin in Grundzügen dessen politisches Vermächtnis: Sie ködert frustrierte Protestwähler beispielsweise mit dem Motto „Les Francais d‘abord“ („Franzosen zuerst“), lässt an Ausländern kein gutes Haar, plädiert unermüdlich wie eine Predigerin für Islamfeindlichkeit, tritt für die Wiederinführung der Todesstrafe ein, lehnt die gleichgeschlechtliche Ehe ab und spult auch sonst ihr patriotisches, nationalistisches und populistisches Programm voller Absurditäten unentwegt ab  –  schlussendlich braucht sie am äußersten rechten Rand der französischen Parteipolitik jedoch nur darauf zu warten, bis den regierenden Sozialisten wieder einmal nichts gelingt und den oppositionellen Konservativen wieder einmal nichts einfällt.

Eine breite französische Wählerschicht, die von Francois Hollande zutiefst enttäuscht ist, schenkt ihr, wie man gesehen hat, zunehmend Gehör – auch wenn dabei eine Menge hahnebüchener Unsinn zu vernehmen ist. Marine Le Pen lehnt zum Beispiel mit geradezu abstruser Naivität die Globalisierung generell ab, plädiert für Protektionisus, will den Ausstieg Frankreichs aus dem Euro, verlangt das Comeback des Franc – und diese groteske Mixtur bezeichnet sie als „ökonomischen Patriotismus“. Trotz solcher krauser Ideen hat sich die Ultrarechte längst als unumstrittene Galionsfigur in der rechtsextremen Parteienlandschaft Europas etabliert. Im EU-Parlament gelang ihr im Oktober 2014, ein Bündnis namens MENL – die Abkürzung für „Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit“ –  auf die Beine zu stellen. Neben dem Front National gehören diesem  die Schwesterparteien Le Pens, Vlaams Belang (Belgien), Lega Nord (Italien), Partij voor de Vrijheid (Niederlande) sowie die FPÖ, an. Für HC Strache ist Marine Le Pen ja längst so etwas wie ein politisches Herzblatt.

Selbst wenn etliche vergleichbare Parteien – etwa in Schweden, Ungarn  oder Griechenland – mit der Französin noch nicht wirklich happy sind, ist ein weiterer Rechtsruck im EU-Raum beinahe ausgemachte Sache – nachzulesen etwa in Anton Pelinkas neuem Buch „Die unheilige Allianz. Die rechten und die linken Extremisten gegen Europa“. All diese Gruppierungen müssen nämlich fast gar nichts tun, um – siehe HC Strache – bei Wahlen automatisch zu profitieren. Bei dem permanenten Stimmenfang unter Frustrierten reichen schon ihre ewig-gestrigen Stehsätze, strammen Parolen und ihre meist hinterfotzige Kritik an den – leider tatsächlich oft nicht besonders aktiven – Regierenden. Obendrein spielen ihnen Terroranschläge (wie in Frankreich) sowie die Flüchtlingswelle (auch in allen anderen EU-Staaten)  in die Hände, weil so etwas die radikalen Einstellungen der Rechtspopulisten nur noch verstärkt. Marine Le Pen wird folglich die Enttäuschung vom vergangenen Sonntag möglichst rasch verdrängen und ihren Kurs in gewohnter Manier konsequent weiter verfolgen – Richtung Elysée Palast. Schon jetzt ist darauf zu hoffen, dass sich bei ihrem beträchtlichen Potenzial an Stimmlieferanten allmählich die Vernunft durchsetzen wird – dass ihre Anhänger und solche, die es noch werden könnten, möglichst bald erkennen, dass Le Pens Ansichten eminent gefährlich wären, sobald sie an die Macht käme. Der Front National würde sich nämlich als Front gegen die Demokratie entpuppen.

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