Freitag, 19. April 2024
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Die zwei EU-Krisenherde in Südeuropa

Bilder © Creative Commons Elionas/Pixabay

Der Union droht weiteres Ungemach: In Italien und Spanien steuern neue Regierungen in eine ungewisse Zukunft.

Am 1. Juni ist Pedro Sánchez neuer spanischer Ministerpräsident geworden. Am selben Tag wurde Italiens neuer Ministerpräsident Giuseppe Conte und dessen koalitionäres Kabinett vereidigt. Die zwei höchst unterschiedlichen Herren – der eine einstmals Wirtschafts-Professor und zuletzt umstrittener Generalsekretär von Spaniens Sozialistischer Partei (PSOE), der andere gelernter Jurist ohne politische Erfahrung und ohne parlamentarische Hausmacht, der von der populistischen Fünf-Sterne-Partei und der rechtsnationalistischen Lega zum Kompromiss-Premier gekürt wurde – diese beiden Neo-Premiers sind zweifellos Garanten, dass der EU neben Griechenland ab sofort zwei weitere südeuropäische Krisenherde massive Zores bereiten werden.

Der Sozialist Sánchez, 46, wurde zwar nach einem Misstrauensvotum gegen den konservativen bisherigen Regierungschefs Mariano Rajoy mit 180 der 350 Stimmen der Abgeordnetenkammer gewählt – seine Partei verfügt freilich nur über 84 und damit lediglich ein knappes Viertel aller Mandate. Das rote Minderheitskabinett ist somit von der Gunst der linkspopulistischen Partei Podemos, aber zugleich vom Goodwill von sechs Mini-Gruppierungen wie den nationalistischen Parteien in Katalonien und dem Baskenland abhängig.  Sánchez hat es freilich abgelehnt, mit anderen eine Koalition zu formen oder sich gar auf Neuwahlen einzulassen und scheint entschlossen zu sein, bis zum nächsten Wahltermin Mitte 2020 durchzuhalten.

Der 53-jährige Conte hingegen, Jus-Professor in Florenz und Rom, kann sich mit seiner vielerorts gefürchteten nationalistisch-populistisch-rechtsextremen Regierung auf eine Mehrheit sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat verlassen. Seine eigene Rolle ähnelt jedoch am ehesten der eines politischen Hampelmannes: Politisch völlig unerfahren,  wurde er bekanntlich von den beiden bei den März-Wahlen siegreichen Parteichefs Luigi Di Maio  (Fünf-Sterne-Bewegung) bzw. Matteo Salvini (Lega) für den Spitzenjob vorgeschlagen. Staatspräsident Sergio Mattarella beauftragte ihn mit der  Regierungsbildung, was Conte erst im zweiten Anlauf gelang. Dass er neben seinen beiden Stellvertretern – dem erst 32-jährigen Arbeits- und Sozialminister Di Maio sowie dem 45-jährigen Innenminister Salvini – bestenfalls bloß die dritte Geige zu spielen hat, ist eben so wenig zu bestreiten wie das Faktum, dass der neue Premier auf einem Schleuderstuhl sitzt.

Was ist das „neue System“?

Signore Conte steht vor der Sisyphus-Aufgabe, ein aus zahllosen Versprechen bestehendes Polit-Programm zweier  suspekter Lager zu realisieren, das laut Meinung der allermeisten italienischen Experten einfach nicht umsetzbar, weil „extrem kostspielig“ sei. Die beiden unkonventionellen Parteien haben sich auf „einen radikalen Wandel“ eingeschworen, im Zuge dessen „ein neues System“ eingeführt, die „alten Privilegien“ abgeschafft und die „verkrustete Macht“ abgelöst werden soll. Dazu nur fünf Kostproben:

Punkt Eins: Die horrende Staatsverschuldung Italiens müsse reduziert werden, aber nicht durch Sparmaßnahmen, sondern durch mehr Wirtschaftswachstum und höhere öffentliche Ausgaben – so einfach geht das.

Punkt Zwei: Die Familien, aber die Pensionisten müssen in Zukunft mehr Geld zur Verfügung haben, um „in würdiger Weise zu leben“ – wunderschön formuliert. Zugleich müssen selbstverständlich die Renten und Sonderzulagen von Parlamentariern, Regionalräten und Angestellten von Verfassungsorganen gekürzt und sämtliche Pensionen ab 5.000 Euro pro Monat beschnitten werden – Bravo!

Punkt Drei: Die zu hohe Steuerlast, verknüpft mit mit der hemmungslosen Bürokratie, wirke sich längst negativ auf die Beziehung zwischen Steuerzahlern und dem Staat sowie auf die Wettbewerbsfähigkeit des Landes aus. Deshalb müsse eine Flat Tax mit festen Steuerklassen her, was wunschgemäß zu Steuereinsparungen, höheren Konsumausgaben und mehr Investitionen führen, aber auch die Steuerhinterziehung drastisch reduzieren  solle.

Punkt Vier: Das Problem Einwanderung, das für Premier Conte „unter dem Deckmantel falscher Solidarität über alle Maßen gewachsen“ sei, müsse beendet werden. Neo-Innenminister Salvini wird, wie sich bereits abzeichnet, unter Garantie härter gegen illegale Migranten vorgehen. Conte beruhigt jedoch: „Wir sind keine Rassisten und werden niemals welche sein“ – sein Wort in Gottes Gehörgang.

Punkt Fünf: Obwohl in Brüssel alles darauf wartet, von der neuen italienischen Regierung gepiesackt zu werden – so etwa wird dem Land möglicher Weise die Intention nachgesagt, aus dem Euro aussteigen zu wollen – , versprach der Premier bei seiner Antrittsrede unwiderlegbar: „Europa ist unser Zuhause“. Überdies  bekannte er sich in Namen Italiens zur Nato-Mitgliedschaft und zugleich zu einer Öffnung der Union Richtung Russland, was so viel bedeuten sollte wie das Aus für die Sanktionen.

Konflikt mit Brüssel

Der riesige Schuldenberg in Höhe von mehr als zwei Billionen Euro, was rund 132 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht, ist lediglich ein Aspekt des italienischen Dramas. Dem Land, das nur durch die Intervention der Europäischen Zentralbank vor dem Zusammenbruch gerettet wurde, setzen obendrein ein extrem schwaches Wachstum und eine relativ hohe Arbeitslosenquote zu, wozu sich die Kapitalflucht und viele andere Probleme gesellen. Da die geplanten Ausgaben der künftigen Regierung mit der Mitgliedschaft Italiens im Euroraum unvereinbar sind und das Land die derzeitigen Spielregeln nie und nimmer einhalten kann, zeichnet  sich ein massiver Konflikt mit Brüssel ab. Die höchst EU-kritische Regierung in Rom wird sich jedenfalls nicht schikanieren lassen, weshalb tatsächlich wieder einmal der Kollaps der Eurozone im Raum steht.

Anders als das notorische EU-Sorgenkind stellt die neue spanische Regierung keine bedrohliche Gefahr für Brüssel und den Euro dar. Sánchez, der als unberechenbar gilt, hat einerseits kein besonders großartiges Programm zu bieten und anderseits bloß einen klitzekleinen politischen Gestaltungsspielraum zur Verfügung. So etwa muss er auf Geheiß der ihn unterstützenden Kleinparteien den von den Sozialisten vor wenigen Wochen abgelehnten Haushaltsentwurf der alten Regierung verabschieden. Mit seinem Kabinett, in dem er gleich elf Ministerinnen aufbietet, hat er zweifellos ein Signal für einen neuen Aufbruch gesetzt, und auch die prinzipielle Bereitschaft für Reformen ist ihm nicht abzusprechen. Beim Thema Nummer Eins – Katalonien – agierte Sánchez taktisch nicht unklug, weil er mit der Bestellung des Katalanen Josef Borrell zum Außenminister eindeutig signalisierte, dass die Einheit Spaniens unangetastet bleiben müsse. Die katalanischen Abgeordneten werden sich freilich in Zukunft jede Stimme für die sozialistische  Regierung wohl teuer bezahlen lassen, weshalb  Sánchez durchaus erpressbar sein wird.

Auch wenn der Regierungswechsel in Madrid von den Spaniern überraschend positiv bewertet wird, weil damit die alles andere als glanzvolle Ära des Konservativen Mariano Rajoy nach sieben Jahren beendet wurde, steht vorerst in den Sternen, wie lange  der Linke  Sánchez an der Macht bleiben darf. Fraglich bleibt auch, ob und wenn ja: welche seiner diversen Ankündigungen eine Chance haben, realisiert zu werden: Am ehesten ist mit sozialpolitischen Initiativen zu rechnen – Stichworte: gleicher Lohn für alle, bessere Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnbereich, Ausweitung des Mutterschutzes, eine  neue Bankenabgabe, die dem Sozialsystem zugute kommen soll usw. usw.  Sánchez wird wohl primär versuchen, junge, aber auch ehemalige Wähler, die beim letzten Mal für Podemos votiert hatten, für die PSOE zurückzugewinnen, seine eigene Position zu stärken und möglichst lang an der Macht zu bleiben.

Bei dieser Gelegenheit ist ein Hinweis auf Griechenland angebracht: Mit vollmundigen Parolen schaffte  Alexis Tsipras samt der damals linksradikalen Syriza im Jänner 2015 einen fulminanten Wahlsieg. Insbesondere die jungen Griechen, denen er u.a. Jobs und Geld versprochen hatte, waren voller Begeisterung für diesen starken Typen, der etwa die Befreiung des Landes vom Joch der Kreditgeber versprach. Der heute erst 44-jährige Strahlemann hat in der Folge praktisch alle seine Versprechen vergessen und stattdessen nur kleinlaut unterschrieben, was Griechenlands Kreditgeber von ihm verlangten. Die jungen Griechen, von denen derzeit lauf offiziellen Angaben 43 Prozent als arbeitslos gemeldet sind – tatsächlich sind es wesentlich mehr – , fühlen sich von ihm naturgemäß verraten. Tsipras hat seinen Job als Ministerpräsident behalten. Er kann es als seine Leistung betrachten, dass das Land nicht in die Pleite geschlittert ist…

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