Mittwoch, 24. April 2024
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Die wunden Sicherheitsstellen Europas

Karel Fürst Schwarzenberg (Ausschnitt) © Pelz @ Wikipedia CC BY-SA 3.0
Karel Fürst Schwarzenberg (Ausschnitt) / Bild © Pelz, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons (Ausschnitt)

„Noch nie hat Europa eine so lange friedvolle Zeit erlebt“ ist ein Standardsatz der EU-Politiker und ihrer Gefolgsleute. Es gibt aber sehr wohl Gefahrenherde.

Karl Schwarzenberg gilt als einer der angesehensten „elder statesman“ Europas. Bereits in den 1960er Jahren war er als politischer Berater in Österreich tätig, wurde dann Präsident der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte, engagierte sich für die Bürgerrechtsbewegung in der Tschechoslowakei und war zuletzt bis 2013 Außenminister der Tschechischen Republik. Zu seinen besonderen Schwerpunkten zählt die Sicherheitspolitik. Im Gespräch mit EU-Infothek sieht Schwarzenberg die (militärische) Sicherheitslage in Europa an sich derzeit für „sehr stabil“. Kurzum: Auf beiden Seiten denkt niemand an Krieg. Das ist sicher eines der Erfolgsgeheimnisse, die die Europäische Union, der Fall des Eisernen Vorhangs und der Demokratisierungsprozess in den ehemaligen kommunistischen Volksdemokratien mit sich gebracht haben.

DAUERBRENNER UKRAINE

Es gibt allerdings in Europa drei Regionen, die Gefahrenherde bilden könnten. Einer davon ist fast täglich Gegenstand der medialen Berichterstattung, nämlich die Ukraine. Hier will Schwarzenberg nicht übersehen, dass in Russland so manche Politiker durchaus „revanchistische Gedanken“ verfolgen. Und auch die ukrainische Seite verfolgt gewisse eigene Interessen. Dazu kommt, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in der Causa versucht, mit einer Art „Salamitaktik“ vorwärts zu kommen. Wobei er darauf vertrauen kann, dass der Westen, wie es sich bisher trotz aller Sanktionen immer wieder gezeigt hat, „ohnedies nur ungenügend reagiert“ beziehungsweise keine konsequente Linie vertritt. Die Causa Ukraine birgt die Gefahr in sich, zu einem Ernstfall zu werden: Weil man sich „nicht Stück für Stück abschneiden lässt“ und daher die Gefahr besteht, eines Tages auszurasten.

VERNACHLÄSSIGTES BALTIKUM

Eine andere in sicherheitspolitischer Hinsicht sensible Zone ist für Schwarzenberg das Baltikum, dem man aus mittel- und zentraleuropäischer Perspektive fast zu wenig Augenmerk schenkt. Wiewohl strategisch wichtig und bedeutend. Diese drei Staaten kennen Russland aus eigener Erfahrung. Sie sind allerdings mittlerweile militärisch gut vorbereitet. Nicht zu übersehen ist im Baltikum, dass Moskau bedingt durch die seinerzeitige Ansiedlung russischer Minderheiten „einen gewissen Hebel in der Hand hat“. Allerdings, so Schwarzenberg, aufgrund der „Entschlossenheit“ in Estland, Lettland und Litauen kann man davon ausgehen, dass aufgrund des Selbstbewusstseins der politischen Führung in diesen Staaten keine wirkliche Gefährdung besteht“. Auch in Moskau weiß man darüber Bescheid.

„HOTSPOT“ BALKAN

Etwas fragil ist es um den Balkan bestellt Hier ortet Schwarzenberg aber auch „Schuld“ bei der EU: „Wir haben den Balkan in den letzten Jahren vernachlässigt“. So habe man es verabsäumt, die Balkanstaaten schon frühzeitig an die sprichwörtliche Brust zu nehmen. Was bei Bulgarien und Rumänien geschehen ist, im Falle von Mazedonien, aber auch bei Serbien und Bosnien-Herzegowina vernachlässigt wurde. Die Folge ist eine gewisse Verselbstständigung. Was sich in den wirtschaftlichen Einflüssen zeigt, die etwa islamische Länder wie die Türkei oder auch China bewusst pflegen. Hier besteht – wenn man an den Kosovo, die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Volksgruppen denkt – immer wieder ein Risiko für neue Konflikte. Weil so manche EU-Länder zu wenig Berührungspunkte mit dem Balkan haben, zu weit entfernt sind, andere Interessensgebiete verfolgen, wäre hier ein starkes Engagement Österreichs gefragt.

VERPASSTE CHANCE Visegrád

Die Chance, die Gründung der Visegrád-Gruppe in die Hand zu nehmen, hätte Österreich übrigens 1990 gehabt, ist Schwarzenberg überzeugt. Die damals gerade aus der sowjetischen Geiselhaft entlassenen, neuen Demokratien wären für das Ergreifen einer Initiative Österreichs offen gewesen. Das aber geschah nicht, weil man schon zu sehr den Blick auf Brüssel und die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft gerichtet hatte. Heute freilich ist es zu spät. Hier hat Wien jetzt aber noch die Möglichkeit, eine Art Mittel-Südost-Europa-Achse zu formen.

NICHT AUF NATO VERLASSEN

Was schließlich die Aufstellung einer immer wieder in Diskussion stehenden Europäischen Armee betrifft, so glaubt Karl Schwarzenberg, dass sich in nächster Zukunft eine solche „Notwendigkeit ergeben wird“. So wichtig die NATO ist, hat sie nämlich zwei wichtige Mitglieder, deren „Interessen sich nicht unbedingt mit jenen Europas decken“. Und das sind die Vereinigten Staaten und die Türkei. Daher wäre die EU gut beraten, sich nicht hundertprozentig auf das Schutzschild des atlantischen Verteidigungsbündnisses zu verlassen. Die Devise muss vielmehr lauten: „Engste Zusammenarbeit mit der NATO, aber auch Aufstellung genügend starker europäischer Kräfte“.

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