Donnerstag, 28. März 2024
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Der Wahlk(r)ampf der TV-Sender

Im Wahlkampf wollen Parteien und Kandidaten im TV punkten: Fünf Fernsehsender buhlen um Zuseher. Das Format der TV-Konfrontation wird inflationär. 

Die Deutschen haben’s gut: Sie konnten sich die beiden Spitzenkandidaten Angela Merkel und Martin Schulz 95 Minuten lang im Fernsehen geben – und das war’s auch schon. Das einzige, von ARD, ZDF, SAT1 und RTL vor der Bundestagswahl am 24. September gemeinsam ausgestrahlte Polit-Duell, das viel eher ein Duett gewesen ist, brachte herzlich wenig an neuen Erkenntnissen, aber letztlich eine eindeutige Siegerin: Die Kanzlerin hatte dem höflichen Herausforderer nicht die geringste Chance gelassen. Seitens der gleich vier Moderatoren gab es jede Menge Fragen, doch bei den Antworten absolut keine Untergriffe, null persönliche Angriffe, so gut wie keine Aggressionen, selbst kleinkarierte oder gar bösartige Vorwürfe blieben aus.

Ganz anders in Österreich: Bei uns gebärden sich fünf Fernsehsender seit Wochen so, als würden am 15. Oktober nicht Parteien, sondern TV-Anstalten zur Wahl stehen. Der ORF, eindeutig mit dem größten Ehrgeiz, aber auch Puls4, ATV, OE24 sowie Servus TV sorgen bereits seit Juni für eine noch nie dagewesene Informations-Lawine und scheinen damit die Spitzenpolitiker und das Publikum ebenso zu überfordern wie sich selbst (siehe Kasten unten). In den diesmal inflationär gewordenen „Sommergesprächen“, „Konfrontationen“ und weiß der Teufel noch was, mühen sich in die Rolle der Hauptdarsteller gedrängte Moderatoren wie Tarek Leiter, Corinna Milborn, Wolfgang Fellner oder Sylvia Saringer gnadenlos ab, besondere Fragen zu stellen. Doch diese ähneln einander letztlich zumeist wie ein Ei dem anderen – weshalb es nicht besonders überraschen mag, dass sie von den eingeladenen Spitzenpolitikern in der Regel auch stets mit denselben eingelernten Stehsätzen beantwortet werden.

Das heißt nun wiederum, dass der Neuigkeitswert dieser televisionären Massen- bis Mini-Events summa summarum äußerst gering ist. Christian Kerns Ansage, dass die SPÖ in Opposition abtauchen wolle, falls er nicht Erster werde, zählt bislang zu den raren Ausnahmen. Im Übrigen sind eben gängige Aussagen unvermeidlicher Weise gleich mehrmals zu hören – „Mit unserem Land spielt man nicht“ (Kern), „Ich wollte das gerade beantworten“ (Kurz)  oder „Wir haben eine Fairness-Krise“ (Strache). Obendrein mangelt es in den  direkten Aufeinandertreffen nicht an steilen Sagern wie „Der Herr Kern windet sich wie ein Aal“ (Copyright HC Strache), „Sie haben ja einen Verfolgungswahn“ (Kern zu HC) oder  „Kurz ist der teuerste Flüchtling Österreichs“ (JC über den abwesenden Außenminister).

Das Fernsehen soll sich nicht so wichtig nehmen

Von den bisherigen TV-Streitgesprächen blieben indes am ehesten Belanglosigkeiten oder politische Nebensächlichkeiten, darunter die ebenso zarte wie ungeschickte Andeutung von Sebastian Kurz, wonach die Roten von Bautycoon Hans Peter Haselsteiner angeblich eine saftige Spende erhalten hätten. Auch der Frage, ob, wann bzw. wie oft der Kanzler gemeinsam mit ORF-Moderator Leitner geurlaubt habe, wurde ein überdimensionaler Stellenwert  in diesem Wahlkampf zuteil, in dem sich weitaus mehr um Herrn Silberstein oder die Terrormauer am Ballhausplatz dreht als um relevante Sachthemen.  Der totale Einsatz, mit dem sich die TV-Sender ins Zeug legen, sorgt nämlich  für eine hohe Frequenz in der Präsenz der Kandidaten, jedoch  keineswegs für mehr Qualität ihrer Informationen. Jeder Spitzenpolitiker lässt freilich das Zeremoniell im Studio notgedrungen über sich ergehen, weil er auf diese Weise mehr potenzielle Wählerinnen und Wähler erreichen kann als etwa bei einer Kundgebung in St. Pölten oder einem Besuch der Rieder Messe. Am liebsten scheint HC Strache, der sonst liebend gerne auf die „Mädien“ und den ORF hinzuhauen pflegt, seine einstudierten Polit-Gags vor TV-Kameras los werden zu wollen. Ob’s ihm und den anderen am Ende des Tages/Wahlkampfs etwas nützen wird, darf jedenfalls bezweifelt werden.

Die beliebte These, im Fernsehen werde jeder Wahlkampf entschieden, ist nämlich auch nicht mehr das, was sie einmal war: Erstens schaut sich vermutlich kein einziger Wähler – es sei denn, es handelt sich um einen psychisch gestörten Masochisten – freiwillig alle gut und gern 30 TV-Konfrontationen freiwillig an, denn beim dritten Mal Strolz gegen Lunacek oder Pilz gegen Kern sind bleibende Schäden nicht auszuschließen. Das bedeutet zweitens, dass die erzielten Einschaltquoten nicht so sensationell sind, wie man anzunehmen geneigt ist: Okay, Sebastian Kurz kann auf mehr als eine Million ORF-Zuseher stolz sein, doch die Grüne Ingrid Felipe musste sich mit weniger als der Hälfte begnügen. Sofern ein anderer Sender bei einem dieser Duelle mehr als 100.000 Zuschauer bejubeln kann, was selten genug vorkommt, handelt es sich schon um eine für ihn großartige Reichweite. Wolfgang Fellners OE 24 etwa, das jedes dieser Wahl-Spektakel auf extrem reißerische Weise anzukündigen pflegt, kann in diesem geradezu hysterischen TV-Fünfkampf nur deshalb mithalten, weil nahezu jeder halbwegs brauchbare Nebensatz tags darauf von der Gratiszeitung „Österreich“ penibel ausgeschlachtet wird.

Die Deutschen haben`s jedenfalls gut, weil im Nachbarland bloß ein einziges Mal Merkel gegen Schulz am TV-Programm gestanden ist – ein uniques Ereignis, das bei den meisten Kommentatoren letztlich wenig Gefallen fand. Aber sei’s drum: Die rot-weiß-roten Sender sollten sich daran ein Beispiel nehmen und beim nächsten Mal auf diesen inszenierten Wahlk(r)ampf verzichten – nach dem Motto „Qualität statt Quantität“. Das heuer extrem überforderte Publikum wird es zu danken wissen  mit weit höheren Zuseherzahlen bei unpolitischen Sendungen…

Lieber abschalten als aufdrehen

Die Serie der „Sommergespräche“ eröffnete Wolfgang Fellner auf seinem Mini-Sender OE24 TV am 21. Juni mit Christian Kern. Eine Woche später, wieder an einem Mittwoch, war Sebastian Kurz an der Reihe, in der Woche darauf stellte sich Heinz-Christian Strache dem Gespräch, der eine Nettoreichweite von 65.000 Personen erzielte und damit Kurz und Kern hinter sich ließ. NEOS-Chef Matthias Strolz, Irmgard Griss, Peter Pilz und Ulrike Lunacek blieben sodann allesamt deutlich hinter diesem Rekordwer

Ab Ende Juni nahm sich Infochefin Corinna Milborn auf Puls 4 in den dortigen „Sommergesprächen“ sechs Parteichefs vor. Kurz schaffte mit 182.000 Zusehern das Maximum, die Grüne Ulrike Lunacek war mit 92.000 Schlusslicht.

Als nächster kam Tarek Leitner in ORF 2, jeweils montags um 21.05, mit seinen fünf „Sommergesprächen“ an die Reihe. Statt Lunacek war beim Staatssender Ingrid Felipe eingeladen, Pilz war nicht dabei. Bei den Einschaltquoten lag Sebastian Kurz mit etwas mehr als einer Million voran, Christian Kern schaffte 916.000 Zuseher, Felipe musste sich mit 511.000 begnügen.

Am 31. August sprang der Salzburger Mateschitz-Sender Servus TV mit einem „Talk im Hangar 7“ in die Wahlberichterstattung auf. Erster Gast bei Michael Fleischhacker war ÖVP-Chef  Kurz. Fünf weitere „Wahl-Spezial“ mit den übrigen Parteichefs, immer am Donnerstag live ab 22:15 Uhr, folgen – als Letzter ist Strache am 5. Oktober dran. Analysiert wird das Geschehen stets von den beiden Politik-Experten Kathrin Stainer-Hämmerle und Thomas Hofer.

Am 8. September kam es auf OE24 TV beim Match Kern gegen Strache, das zuvor schon als ORF-„Klartext“-Sendung stattgefunden hatte, zum ersten von zehn TV-Duellen der Spitzenkandidaten, die nicht nur miteinander, sondern auch mit den Chefs der der Kleinparteien debattieren mussten. Sie wurden allesamt ähnlich reißerisch angekündigt wie der „knallharte Schlagabtausch“ zwischen den beiden Wahlkampfstrategen Georg  Niedermühlbichler (SPÖ) und Herbert Kickl (FPÖ), die einander vor der Kamera in der Tat nichts geschenkt haben.

Vier Tage zuvor, am 4. September, startete  Puls 4 das Format „Pro und Contra: Wahlkampf 2017“, dem am 11. September die erste „TV-Konfrontation“ folgte – HC Strache  trat gegen Matthias Strolz an. Neun weitere Folgen werden bis 8. Oktober gesendet, jenen Tag, an dem Kurz sowohl gegen den Kanzler als auch gegen den FPÖ-Chef in den Ring muss. Selbstverständlich offeriert auch ORF 2 eine eigene Serie „Konfrontationen“, die zwischen 19. September (FPÖ – Grüne) und 11. Oktober (SPÖ – ÖVP) ausgestrahlt wird. In nicht weniger als zehn  TV-Duellen nach dem Motto „jeder gegen jeden“ wird  dienstags und donnerstags im ORF2-Hauptabend unter der abwechselnden Leitung von Tarek Leitner und „Im Zentrum“-Moderatorin Claudia Reiterer für hinlänglich bekannte Argumentationen und Aggressionen gesorgt sein.

Erst am 13. September beginnt für ATV der TV-Wahl-Kampf – und zwar mit „Meine Wahl – Reality Check“, bei dem Matthias Strolz und Irmgard Griss bei Moderatorin Sylvia Saringer am Prüfstand stehen. Am 20. sind die Ex-Kollegen Lunacek und Pilz dran, am 27. folgt HC Strache, am 4. Oktober Sebastian Kurz und schließlich am 11. Oktober Christian Kern – jeweils um 22.15 Uhr.

Die sogenannte „Elefantenrunde“, die bei ATV für 1. Oktober geplant ist,  findet auf Puls 4 bereits am 24. September, der ORF hat dieses  Spektakel für 12. Oktober terminisiert. Drei Tage vorher, am 8. Oktober, wird ein telegenes  Novum geben:  Puls 4 und ATV veranstalten erstmals die Dreier-Runde Kern –  Kurz –  Strache, die von Corinna Milborn und ATV-Mann Meinrad Knapp moderiert wird.

Im ORF geht es überdies bei fünf sonntägigen „Pressestunden“, in vier „Im Zentrum spezial“, sieben „Report“-Sendungen und der fünfteiligen Polit-Quiz-Talkshow „Nationalraten“ mit Hanno Settele um die Causa Prima. Auch das Café Puls beteiligt sich an der Wahlkampf-Orgie der fünf konkurrenzierenden TV-Sender: Moderator Florian Danner wandert ab 14. September aus diesem Anlass quer durch alle Bundesländer, um Herrn und Frau Österreicher zu Wort kommen zu lassen: Was erwartet, was wünscht sich das Land von der nächsten Regierung?

Ziemlich klar dürfte bereits  sein, was sich die Österreicher vom Fernsehen wünschen: dass dieser Overkill an Wahl-Sendungen möglichst bald vorbei ist…

 

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