Freitag, 29. März 2024
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Der nächste Akt im Syrien-Drama

Die heutige Kolumne startet in Oberösterreich, führt sodann via Brüssel und New York nach Moskau und endet schließlich in Syrien. Bei diesem Streifzug durch die Welt wird etwa untersucht, warum ein an sich erfolgreicher Landeshauptmann ein Schlamassel erlitt, wer vom Flüchtlingszustrom automatisch profitiert, was für populistische Gefahren auf die Europäische Union zukommen, wie die UNO aus ihrer Lethargie erwachen könnte, und wem die Beendigung des syrischen Dramas derzeit am ehesten zuzutrauen ist.

Aber der Reihe nach: In Oberösterreich haben die Wahlen vom Sonntag den nicht unerwarteten Umsturz gebracht. So wie zuvor in der Steiermark und im Burgenland verloren auch diesmal die Repräsentanten jener beiden Parteien, die die Bundesregierung bilden, dramatisch. Landeshauptmann Josef Pühringer, dessen Leistungsbilanz im „Hoamatland“ durchaus positiv bewertet wird, und die bislang auf Rang Zwei platzierten oö. Sozialisten wurden von den Wählerinnen und Wählern – nicht nur, aber sicher in hohem Ausmaß – wegen der derzeitigen Flüchtlingswelle abgestraft. Während Schwarz und Rot landesweit ein scharfer Gegenwind ins Gesicht bläst, was auf die magere Performance der rot/schwarzen Koalition, speziell auf das Flüchtlingsthema zurückzuführen ist, wird HC Straches FPÖ dank starkem Rückenwind von Wahlerfolg zu Wahlerfolg getragen – der nächste ist am 11. Oktober in Wien fällig. Die Blauen, die liebend gerne in gute Inländer und böse Ausländer zu unterscheiden pflegen, mussten – abgesehen von ihrem populistischen Vokabular und den gewohnten Hardliner-Attitüden – relativ wenig beitragen, um frustrierte Bürgerinnen und Bürger in Scharen zu überzeugen.

Der ungebremste Zustrom von syrischen Kriegsflüchtlingen und Asylsuchenden aus anderen Krisenregionen wird dafür sorgen, dass jene Parteien, die im extrem rechten Eck angesiedelt sind, in ganz Europa – ähnlich wie die Freiheitliche Partei Österreichs – massiven Aufwind spüren werden. Nach der griechischen Wahl, bei der die neonazistische „Goldene Morgenröte“ auf Platz drei gelandet ist, dürfte das schon bei den nächsten Parlaments-, Regional- oder Präsidentschaftswahlen in mehreren Ländern evident werden. Selbst wenn derartige Parteien in Portugal, Polen, Spanien und Kroatien, wo noch heuer gewählt wird, noch unterhalb der Wahrnehmungsgrenze angesiedelt sind, können sie mit ausländer-feindlichen Parolen auf eine steigende Zustimmung seitens der Wähler hoffen. Bei den anstehenden französischen Regionalwahlen im Dezember indes ist der Front National von Marine Le Pen ein starkes Ergebnis zuzutrauen. Im kommenden Jahr, wenn in sieben EU-Staaten die Volksvertretung bzw. deutsche Landtage gewählt werden, wird der populistische Nationalismus erneut fröhliche Urständ feiern: etwa in den Niederlanden, wo für die vom Paraderechten Geert Wilders angeführten PVV (Partei für die Freiheit) deutliche Zugewinne zu befürchten sind.

Auch in jenen Ländern, wo gerade keine Urnengänge anstehen, werden sich rechtsextreme Gruppierungen wohl oder übel eines beträchtlichen Zuspruchs erfreuen: etwa die radikale ungarische Jobbik, bei den letzten EU-Wahlen bereits zweitstärkste Partei im Lande, die Dänische Volkspartei (DF), die für strenge Einwanderungsgesetze  kämpft und ebenfalls bereits in Position Nummer Zwei liegt, weiters die Wahren Finnen (im Original: Perussuomalaiset, kurz: PS), die für konservativen, nationalistischen Rechtspopulismus stehen und 38 von 300 Parlamentssitzen innehaben, oder die seit 2010 im Reichstag vertretenen Schwedendemokraten, die für eine rigide Asyl- und Einwanderungspolitik eintreten. All diese Parteien profitieren naturgemäß von einem von Angst, Ausländerfeindlichkeit und auch diversen Absurditäten geprägten Meinungsklima in breiten Bevölkerungsschichten, die nunmehr speziell von Asylwerbern nichts wissen wollen. Nahezu überall tauchen Angstgegner des jeweiligen politischen Establishments auf.

Die UNO muss aufwachen

Im derzeitigen EU-Parlament sind etliche dieser unappetitlich anmutenden, dennoch vielbeachteten Parteien in der Fraktion ENF („Europa der Nationen und der Freiheit“) vereint, die freilich so wie die ähnlich geartete, aus sieben EU-skeptischen und/oder nationalistischen Delegationen bestehende EFDD („Europa der Freiheit und direkten Demokratie“) noch ein Schattendasein führt. Dennoch wäre in Brüssel Alarmstimmung allmählich angesagt: Denn sollten die 160.000 Flüchtlinge tatsächlich, wie von der Kommission geplant, in Schritt eins auf die EU-Staaten verteilt werden und dort erst einmal eintreffen, ist die große Stunde für die Rechtspopulisten gekommen, das ist so sicher wie das Amen im Gebet. Dass künftig – in Phase zwei – noch für wesentlich mehr Asylsucher eine ständige Bleibe gefunden werden muss, ist ebenfalls unbestritten, was die Lage nur noch verschärfen wird. Das heißt: Die Flüchtlinge werden zum Auslöser für – wenngleich oft nur eifrig geschürte – Spannungen und Konflikte, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf eine harte Probe stellen wird. Einen von notorischen Hetzern und Zündlern verursachten deutlichen Rechtsruck in Europa braucht die EU jedenfalls so dringend wie ein Patient den rostigen Nagel im Knie.

Was also tun? Nachdem es eher unwahrscheinlich ist, dass die Union dieses Problem so souverän lösen wird, dass sich die anfänglichen Aufregungen und Proteste bald legen werden, bleibt bloß eine probate Strategie: Der Ansturm der Flüchtlinge muss auf weise Art eingedämmt, womöglich sogar gestoppt werden, weil Millionen Hilfsbedürftige im EU-Raum offenbar nicht zu verkraften wären. Ein erster Schritt in diese Richtung war die kürzlich angekündigte, zusätzliche EU-Finanzhilfe in Höhe von einer Milliarde Euro, die in etliche von Geldnöten geplagte türkische oder libanesische Camps fließen und die Menschen dort von der Flucht nach Europa abhalten sollen. Dass weitere Milliarden an jene Länder fließen müssen, die seit dem Massenexodus die Hauptlast tragen – Türkei, Libanon und Jordanien – zeichnet sich ab und muss möglich sein, denn zwecks Bankenrettung auf Grund der Finanzkrise und beim Pleitekandidaten Griechenland sind Brüssel & Co. ja ebenfalls großzügig in die Bresche gesprungen. Noch weitaus wichtiger wäre allerdings eine längst fällige Initiative zur Beendigung des Bürgerkriegs in der Krisenregion.

Diese Aufgabe ist freilich der EU, speziell ihrer Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, gleich um ein paar Schuhnummern zu groß. Deshalb müsste sich Brüssel schleunigst mit der in politischer Lethargie dahindämmernden Behörde namens Vereinte Nationen zusammentun – womit wir in New York gelandet sind. Die UNO als hierfür zuständige Institution hätte schon längst zumindest einen Versuch starten sollen, um die vielen Streithähne rund um Syrien endlich an einem Tisch zu versammeln. Die Hoffnung, das selbiges irgendwann passiert, ist zwar bei der heurigen UNO-Generalversammlung mit Hauptthema Syrien gewachsen, aber so bald werden die Waffen in Syrien nicht verstummen.  Jedenfalls war in New York alles, was Rang und Namen hat, anwesend. Unter den mehr als 150 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt ist Wladimir Putin aus seiner temporären Versenkung aufgetaucht, um wieder einmal mit Intimfeind Barack Obama 90 Minuten lang zu konferieren.

Putins zentrale Rolle

Der Kreml-Boss – und damit wechseln wie nach Moskau – spielt ohne Zweifel nach wie vor eine Schlüsselrolle in der Weltpolitik. Und Russland ist – so wie der Iran – fest entschlossen, dem vielerorts verhassten syrischen Präsidenten Bashar al Assad im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat zur Seite zu stehen. Putins Haltung unterscheidet sich grundlegend von jener Obamas, vieler westlichen Staaten, sowie den Positionen der Türkei, Katars und Saudi-Arabiens. Diese erbitterten Gegner des syrischen Diktators, der nicht weniger als 250.000 Tote am Gewissen hat, wollen ihn wegen seiner grausamen Verbrechen so rasch wie möglich weghaben. Sie haben daher bisher stets ausgeschlossen, mit dem Massenmörder zu verhandeln. Der russische Präsident hingegen setzt auf ein Spiel auf Zeit: Russland möchte als Teil einer starken internationalen Militärallianz zunächst, mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrates ausgestattet, den IS mit seinen rund 30.000 ausländischen Jihadisten ausschalten, weil Verhandlungen mit diesen Fanatikern ohnedies nicht in Frage kämen. Assad solle vorerst im Amt bleiben, allerdings die Macht weitgehend an eine breite Interimsregierung abgeben. In weiterer Folge – sobald der IS besiegt wäre – müsste er einer neuen syrischen Regierung Platz machen, um beispielsweise ins russische Asyl abzutauchen. Damit könnte der nächste Akt im Drama um Syrien starten – hoffentlich der letzte.

Eine diplomatische internationale Initiative, die zu Friedensverhandlungen führt, hätte jedenfalls wesentlich mehr Sinn als kämpferische Einzelaktionen, etwa der Amerikaner, die mit ihren von Dilettantismus geprägten bisherigen Militäraktionen in Syrien am ehesten Lacherfolge zu verzeichnen hatten; oder der Franzosen, die, wie Präsident Francois Hollande am Rande des UNO-Meetings stolz berichtete, soeben erste Luftschläge gegen die IS-Terroristen absolviert und eines deren Ausbildungslager zerstört haben. In Brüssel, wo man dem syrischen Bürgerkrieg jahrelang tatenlos zugesehen hat, kann man jedenfalls nur hoffen, dass der kriegerische Konflikt dank der Regie von Wladimir Putin so bald wie möglich gestoppt wird – so kompliziert das in Folge der verwirrenden politischen Konstellationen auch sein mag. Schließlich wäre die Europäische Union einer der größten Profiteure, wenn dieser Wahnsinn im Nahen Osten endlich zu Ende ginge: Falls ein Frieden jedoch nicht geschafft wird, würde das Flüchtlingsthema auf Jahre hinaus nicht nur das dominierende Problem, sondern letztlich auch eine dramatische Zerreißprobe für das vereinte Europa darstellen.

 

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