Freitag, 29. März 2024
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Brexit erinnert an Hamlet: „Sein oder nicht sein“

Bild © CC0 Creative Commons, Pixabay (Ausschnitt)

Die Brexit-Verhandlungen lassen die Erinnerung an Shakespeare-Dramen hochkommen. Man steuert auf eine Tragödie zu – und stemmt sich nicht dagegen.

An sich hätte noch vor Weihnachten der Brexit-Vertrag unter Dach und Fach sein sollen, damit Ende März der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union nach einer 46-jährigen Mitgliedschaft vollzogen werden kann. Derzeit freilich ist alles ungewiss. Theoretisch kann der Brexit noch termingemäß über die Bühne gehen, genauso aber kann es auch zu einem Beziehungsende ohne Vertrag mit ungewissen Folgen kommen. Ebenso möglich sind ein Hinausschieben des Austritts, ein nochmaliges Referendum und sogar eine Zurückziehung des Austrittsschreibens. Die Schuld daran tragen freilich nur die Regierung, das Parlament und die Parteien in London. Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen).

Nichts hat eine Mehrheit

„Es gibt für Nichts eine Mehrheit“ ist der Kern der derzeitigen Situation, sagt Elmar Brok in einem kleinen Kreis, an dem auch EU-Infothek teilnimmt. Er ist einer der längst dienenden EU-Parlamentarier und einer der drei so genannten „Sherpas“, die den Informationsaustausch zwischen dem Brexit-Verhandler Michel Barnier und dem Parlament sicherstellen. Der deutsche CDU-Politiker schildert das Dilemma in dem Großbritannien steckt und in das sich die Politik des Vereinigten Königreiches selbst hineinmanövriert hat. Wie verfahren die Situation ist, zeigt sich daran, dass es derzeit keine Mehrheit gibt, weder für den Austritt noch für eine Revision dieser Entscheidung. Die britische Premierministerin Theresa May aber erwartet, dass ihr die EU aus der Klemme hilft.

Fast schon ein Glaubenskrieg

Die Ausweglosigkeit macht sich an mehreren Stellen sichtbar. Und hier zeigt sich, dass es im Grunde genommen um eine „ideologisierte Diskussion, ja fast schon einen Glaubenskrieg“ geht. Das beginnt bereits mit der Regierung, wo laufend Minister ersetzt werden müssen. Einmal, weil ein Regierungsmitglied an sich gegen den Brexit ist und daher das ganze Theater nicht mehr mitmachen will. Das andere Mal, weil man sich nicht von der EU gängeln lassen will und daher überhaupt für ein „No Deal“-Szenario ist. Geradezu exemplarisch die Situation in der Regierungspartei. Dort sollte mittels Misstrauensvotums, die eigene Regierungschefin gestürzt werden, mit der wahrscheinlichen Folge von Neuwahlen, bei denen nur eines sicher ist, ein höchst ungewisser Ausgang.

Es geht nur um Machtspiele

Ein ähnliches Bild ergeben – wie Brok erläutert – die Debatten im Unterhaus, wobei noch hinzukommt, dass sich im Mutterland des Parlamentarismus jetzt die beschränkten Möglichkeiten des Unterhauses zeigen. So gibt es zum Beispiel in Großbritannien kein Procedere für eine Volksabstimmung. Und auch die Kommunikation zwischen Regierung und Parlament ist höchst mangelhaft. Wie auch immer, unterm Strich steht, dass nicht rationale Überlegungen sondern „Machtspiele die britische Politik bestimmen“. Nicht nur die Conservative Party und deren Bündnispartner, die protestantischen Unionisten, sondern auch die oppositionelle Labour-Party sind in sich zerrissen.

Brexit kostet GB 45 bis 55 Mrd. Euro

Für den deutschen Europapolitiker steht fest, dass der Brexit sehr wohl auch einen Schaden für Europa, aber einen noch größeren für Großbritannien bedeutet. So muss London allein 45 bis 55 Milliarden Euro an Brüssel zurückzahlen. Schon jetzt zeigt sich, dass der Brexit dazu führt, dass vor allem London wichtige Wirtschaftszweige, so die „Geldfunktion“ verliert, weil Finanzunternehmer auf das europäische Festland ziehen. Verluste werden sich vor allem beim Wirtschaftswachstum zeigen. Brok wirbt um Verständnis für die harte Haltung der EU, die gegen ein weiteres Aufweichen des Brexit-Vertrages ist, Denn „es gibt auch Interessen der EU zu sichern und zu verteidigen“. Im Übrigen gebe es kein Verständnis dafür, dass die Briten zwar Mitglied des Binnenmarktes bleiben, aber keine Kosten mittragen wollen.

Vermeidung einer harten -Grenze

Nicht nur auf der britischen Insel sondern Genau sondern auch am Festland herrscht einen Mangel an Informationen, weiß doch die breite Öffentlichkeit wenig von dem, was der Brexit im Einzelnen bedeutet. Das betrifft vor allem das Schlagwort vom „Backstop“. Es ist dies einer der drei zentralen Punkte, um die derzeit gestritten wird. Dahinter verbirgt sich eine Art Versicherung für den Frieden auf der irischen Insel, die Vermeidung einer harten Grenze zwischen Irland und Nordirland. Die Grenze ist immerhin 500 Kilometer lang. Was es wirtschaftlich bedeutet, wenn hier die Schranken hochgezogen werden, zeigt eine einzige Zahl: 80 Prozent der Waren für Nordirland kommen über den Hafen von Dublin ins Land.

Zwang zum Zusammenhalt

So sehr also das Agieren des Vereinigten Königreichs mit vielen Fragezeichen versehen ist, hat – so Elmar Brok – der „Brexit den Vorteil, dass es uns bewusst geworden ist, wie stark wir bereits verwoben sind“. Die EU-27 habe geradezu den „Zwang zum Zusammenhalt“ gespürt, daher ent- und vor allem geschlossen gehandelt, wie dies bei manch anderen Fragen auch angebracht wäre. Allerdings würde das „Beispiel GB“ und zwar das Spiel der EU-Gegner deutlich machen, dass „wir uns mehr um die schweigende Mehrheit und nicht die lauten Ränder kümmern müssen“. Die „Hardliner sind nicht in der Mehrheit“, sie machen nur mehr Krach.

Unsichere Mehrheit für EU-Verbleib

Was das weitere Procedere betrifft, so wäre das Austrittsdatum 29. März noch verschiebbar, was aber wiederum Folgen für die Ende Mai stattfindenden Europawahlen hätte. Wahrscheinlich müsste dann noch in aller Schnelligkeit ein neues Wahlrecht für die EU müsste geschrieben werden. Unterschiedliche Meinungen gibt es bezüglich eines neuerlichen Referendums, wie dieses immer wieder ins Gespräch geworfen wird. So jetzt auch vom ehemaligen Labour-Premierminister Tony Blair. Rechtsexperten meinen, eine solche Volksabstimmung würde vier Monate benötigen. Wenn der Wille vorhanden wäre, könnte dies aber schneller gehen.

Neues Referendum ein „Vabanque-Spiel“

Brok selbst ist bezüglich des Ausgangs eines solchen Referendums vorsichtig. Er spricht wörtlich von einem „Vabanque Spiel“. In den derzeitigen Umfragen gäbe es zwar eine Mehrheit für den Verbleib in der EU von 53 bis 55 Prozent. Allerdings vor der Brexit-Volksabstimmung im Juni 2016 war sogar eine Mehrheit von 56 bis 57 Prozent feststellbar – und sie endete dann negativ. Darauf, dass sich heute jene ärgern, die damals nicht zur Wahl gegangen sind, sollte man keine Hoffnungen aufbauen.

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