Dienstag, 19. März 2024
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Bosnien: EU-Krisenherd am Balkan

Jetzt ist ihnen endlich der Kragen geplatzt – spät, aber doch: Nach schweren Ausschreitungen in Sarajevo, Tuzla, Mostar oder Zenica haben zehntausende Menschen am Samstag eine „politische Revolution“ gefordert. Bosnien-Herzegowina ist praktisch über Nacht zum zweiten großen politischen Krisenherd Europas – neben der Ukraine – geworden.

[[image1]]Die wütenden Demonstranten, die mehrere Regierungsgebäude in Flammen aufgehen ließen, protestieren gegen die unfähigen Politiker, den aufgeblähten und korrupten Staatsapparat, dubiose Privatisierungen von Staatsbetrieben aber nicht zuletzt auch gegen die miserable Wirtschaftslage, die extrem hohe Arbeitslosigkeit und die äußerst niedrigen Durchschnittslöhne.

Ein kurzer Blick zurück: Nach dem Zerfall Jugoslawiens und dem blutigen Bürgerkrieg ist 1995 beim so genannten „Friedensabkommen“ von Dayton ein groteskes Staatskonstrukt entstanden, das sich letztlich als nicht lebensfähig erwiesen hat: Die drei ethnischen Volksgruppen – Serben, Bosniaken und Kroaten – erhielten damals nämlich umfassende Blockaderechte in den zentralstaatlichen Gremien, die wiederum im Vergleich zu den beiden Landesteilen, der Bosnisch-Kroatischen Föderation und der Serbischen Republik, nur geringe Kompetenzen haben. In dieser merkwürdigen Konförderation mussten sich die unterschiedlichen Interessen beinahe automatisch zu permanenten Streitereien zwischen Muslimen, Serben und Kroaten auswachsen, das umso mehr, als jeder Landesteil über eine eigene Verfassung, eine eigene Polizei und ein eigenes Militär verfügt. Trotz internationaler Vormundschaft – der österreichische Diplomat Valentin Inzko amtiert seit 2009 als nunmehr bereits siebenter Bosnien-Beauftragter der Vereinten Nationen – schlitterte das gespaltene Land, das als ärmstes in Europa gilt, immer tiefer ins Chaos.

Ein Zentralstaat, zwei Verwaltungseinheiten, 10 Kantone für 3,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger – das bedeutet unter anderem gleich drei Staatsoberhäupter, zehn regionale Kantonsregierungen, insgesamt 13 Parlamente und alles in allem rund 200 Minister, wozu sich noch zahllose Bürgermeister und Stadtregierungen gesellen. Dass die fast durchwegs ineffizienten Polit-Apparatschiks primär ureigene Interessen vertreten, in finanzieller Hinsicht ungeniert zuzulangen pflegen und zahllose Privilegien genießen, ärgert die vielen armen und arbeitslosen Bürger schon lange ebenso wie der Umstand, dass nichts weitergeht in ihrem Land. Auf Grund ethnischer, aber auch religiöser Konflikte – schließlich gibt es neben den zumeist muslimischen Bosniaken auch serbisch-orthodoxe Christen sowie römisch-katholische Kroaten – werden selbst Detailprobleme wie die Einführung neuer Personalausweise gerne zu heftigen Auseinander-setzungen hochstilisiert und Entscheidungen letztlich meist genüsslich blockiert.

Nichts ging weiter …

Die EU wollte dem Balkanstaat schon Anfang dieses Jahrtausends eine „europäische Perspektive“ bieten, nämlich die Chance, eines Tages der Gemeinschaft beizutreten. Obzwar sich die Tragödie in Bosnien-Herzegowina klar abgezeichnet hat, schloss sie 2008 ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen ab. Brüssel stellte naturgemäß, ebenso wie etwa Serbien, Albanien oder Mazedonien, aus diversen Geldquellen bereitwilligst hunderte Millionen Euro für den nötigen Aufholprozess in vielen Bereichen zur Verfügung. Als EU-Sonderbeauftragter sollte Valentin Inzko in Doppelfunktion nach dem Rechten sehen, ob die kurz- und mittelfristigen Reformprioritäten akzeptiert werden. Aus heutiger Sicht liegt das Resümee nahe, dass das viele Geld sinnlos verpulvert wurde, denn in Bosnien-Herzegowina hat sich in den vergangenen fünf Jahren, im Gegensatz zu anderen potenziellen Beitrittskandidaten, so gut wie nichts in die richtige Richtung bewegt.

Dementsprechend desillusionierend hörte sich stets der regelmäßig vorgelegte EU-Report über die Entwicklung des Landes an. Der zuletzt Mitte Oktober 2013 publizierte Bericht triefte vor kritischer Skepsis – egal, ob es um Strukturreformen, Menschenrechte, Korruption, Geldwäsche, den Kampf gegen die organisierte Kriminalität oder um die Todesstrafe in der Republik Srpska ging – , und er offenbarte nicht zuletzt starke Zweifel, ob dieses Land jemals auch nur halbwegs EU-reif sein und in eine glückliche Zukunft steuern könne. Besonders unangenehm stiess Brüssel das Fehlen einer gemeinsamen Vision der politischen Entscheidungs-träger hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Landes auf. Aus der EU-Zentrale war zu vernehmen, dass „der europäische Integrationsprozess in Bosnien und Herzegowina zum Stillstand gekommen“ sei. Trotzdem – man höre und staune – bewilligte die Kommission knapp vor Weihnachten erneut eine Geldspritze in Höhe von  42 Millionen Euro – zwar nur halb so viel wie ursprünglich geplant, aber immerhin.

Die Union befindet sich jedenfalls, was ihr größtes Sorgenkind am Balkan anlangt, in einer Art Zwickmühle. Die zuständigen Verantwortlichen, beispielsweise Chefdiplomatin Catherine Ashton und Erweiterungs-kommissar Stefan Füle, wirken auch ziemlich ratlos: Einerseits müssen sie sich vielerorts den Vorwurf gefallen lassen, dass sie sich um das leidgeprüfte ehemalige Bürgerkriegsland kaum scheren und es seinem eigenen Schicksal überlassen; anderseits wird ihnen angelastet, dass  sie viel zu viele Millionen für eine Mission Impossible aufwenden. Denn obwohl in Bosnien gerade einige Regionalregierungen zurückgetreten sind und vermutlich eine Reihe von Politikern noch ihren Hut nehmen wird, dürfte das Land wohl noch lange ein hoffnungsloser Fall bleiben – da kann Brüssel künftig noch so viel Geduld aufbringen, noch so viel Druck ausüben  und noch so viel Geld  bereitstellen.

Sich ein Land zu „kaufen“, das können vielleicht die Vereinigten Staaten – in Europa funktioniert das jedoch ohnedies nicht so einfach, wie etwa das Tauziehen zwischen der Union und Russland um die Ukraine zeigt. Brüssel sollte jedenfalls im Fall Bosnien-Herzegowina nichts überhasten und eine mehrjährige  Nachdenkpause einlegen – das Beitrittsansuchen des Balkanlandes liegt ohnedies noch gar nicht vor. Die EU sollte sich ohne Eile Klarheit verschaffen,  ob mit dem potenziellen Beitrittskandidaten langfristig – frühestens in drei bis vier Jahrzehnten – zu rechnen sein wird oder nicht. Sofern die jüngsten Demonstrationen tatsächlich zu der eingangs zitierten „politischen Revolution“ führen, wird es nämlich immens lange brauchen, bis Bosnien-Herzegowina einen neuen Kurs in eine bessere Zukunft einschlagen kann. Doch schon nach den nächsten, womöglich vorgezogenen Wahlen wird man die Lage besser einschätzen können …
 

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