Freitag, 19. April 2024
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Asiens Textilindustrie: Wohlstandsmotor oder Sündenpfuhl?

In unseren Schulen und Medien lernen wir täglich, welch großes Leid Globalisierung und Textil-Konzerne über diese Welt gebracht hätten. Auf alternative Meinungen wird galant verzichtet.

[[image1]]Schon seit langem beschuldigen die Europäer ihre Textilkonzerne der Ausbeutung südostasiatischer Arbeiter. Sie glauben, dass Europas Wohlstand auf deren Ausbeutung fußen würde. Tatsächlich haben Brände mit schrecklichen Folgen in asiatischen Textilfabriken ein zweifelhaftes Licht auf die dortigen Produktionsbedingungen geworfen.

„Warum investierst du nicht in Bangladesch?“

Wer sich lauthals über die vermeintliche Ausbeutung südostasiatischer Arbeiter echauffiert, wird leise, wenn er gefragt wird, ob er denn persönlich schon ein Fabrik in Bangladesch oder Vietnam gegründet und die Belegschaft fürstlich entlohnt hätte. Warum hätte er das denn tun sollen, hört man dann. Eben – genau das haben sich aber alle anderen Menschen auf dieser Erde auch gesagt.

Wenn aber schon hilfsbereite Menschen in den Elendsländern nicht investieren wollten, warum sollten es dann weniger moralisch hochstehende tun? Bleibt als einziges Motiv die Gewinnaussicht.

Alternative Tagelöhner?

Natürlich sind vietnamesische Monatsgehälter von 80 Dollar gering – deren Produktivität ist es mit nur 12% eines Singapur-Arbeiters aber auch. In den Fertigungen ausländischer Konzerne pendeln die Löhne wenigstens zwischen 100 und 150 Dollar.

Die Arbeitsbedingungen sind für die Arbeiter in diesen Fabriken ohne Zweifel hart. Aber ihr altes Leben als Tagelöhner – 6 Monate im Jahr 14 Stunden täglich Knochenarbeit im Reisfeld für 20 Dollar/Monat, dann 6 Monate arbeitslos – war noch viel härter.

Wer leichtfertig von Ausbeutung spricht, möge Produkte nennen, die man in einem bis 1986 marxistischen Land (China bis 1979, Indien bis 1991) herstellen kann. Was könnte man in Ländern wie Bangladesch fertigen, deren Gesellschaft bisher zu 75% entweder unproduktiv oder unterbeschäftigt war. In denen die wenigsten Bürger lesen oder schreiben können – also nicht wissen, ob ein Schriftzug richtig oder verkehrt eingenäht wurde?

Islamische Gesellschaft bringen nur ausnahmsweise Unternehmer und Erfinder hervor. Warum sollten sich Männer auch anstrengen – Frauen, Ehe und Familie sind ihnen ohnedies sicher. Gesellschaften, die selber keine Unternehmer und Erfinder hervorbringen, haben aber keine Produkte und so können sie nicht an der Globalisierung teilnehmen. Sie sind auf fremde Unternehmer und Erfinder angewiesen.

Textilindustrie schafft Wohlstand

Gerade in rückständigen Gesellschaften kann die Textilindustrie Millionen Arme schnell von der Straße holen und eine Initialzündung für das ganze Land bewirken.

Wenn eine chinesische Fabrik in Bangladesch Textilien im Wert von 50 Millionen Dollar nähen lässt, dann kann die Nationalbank neue Geldscheine in eben dieser Höhe drucken[1]. Von den neuen Umsätzen und Gewinnen werden Steuern eingenommen und damit neue Lehrer und Ärzte bezahlt – beziehungsweise neue Straßen gebaut.

Irgendwann wird – wie in China, Taiwan, Südkorea oder Japan – eine Mehrheit von der wachsenden Wirtschaft aufgesaugt worden sein und dann steigen die Löhne rapide. Schon lange vorher haben sich aber Folgeindustrien herausgebildet. Denn die Textilarbeiter waren die ersten – bescheidenen aber zahlreichen – Nachfrager nach neuen Konsumleistungen wie Bücher, Radios oder Mopeds: Neue Quellen für neue Produkte und neue Beschäftigung – so die Bevölkerung nun einen entsprechenden Unternehmer- und Erfindergeist entwickelt hat.

ILO 2013: Asiens Löhne in 10 Jahren real verdoppelt

Für einen Hungerlohn in Fabriken schuften – das war das Schicksal vieler Wanderarbeiter in China noch vor einigen Jahren. Der Dauerboom hat Chinas Löhne und Ansprüche (auch an die Demokratie) steigen lassen. Und so erzählt der Wanderarbeiter Ye Lusheng dem Deutschlandfunk[2]: „Ich möchte mindestens 300 Dollar im Monat inklusive Verpflegung und Unterkunft. Und wenn möglich, möchte ich auch gar nicht in einer Fabrik arbeiten. Das mache ich nur im Notfall. Aber ich glaube, es gibt genügend andere Jobmöglichkeiten. Ich würde gern als Fitnesstrainer oder im Hotelmanagement arbeiten.“

1979 betrug das chinesische BIP pro Kopf 300 Dollar, nach nur 30 Jahren Globalisierung und 10%igen Jahres-Lohnanstiegen sind es heute zehnmal so viel; 3.000 Dollar. Lebten 1979 58% unter dem Existenzminimum, sind es heute nur mehr 6%. Der Hunger ist ausgerottet, 600 Millionen Chinesen gelang der Aufstieg, vielerorts fehlt es an Arbeitskräften. Ausgelöst hatte den Boom die Textilindustrie.

Laut ILO [3] stiegen die Löhne in südostasiatischen Ländern wie Thailand gerade heuer besonders stark an: Um 65% auf 7,80 Euro am Tag.

Die Industrialisierung Europas hatte wesentlich länger gedauert und er war viel beschwerlicher gewesen. Denn die verarmten Agrarländer von heute können von den hohen Preisen der bereits aufgestiegenen Industrieländer profitieren („Globalisierung“). Wuchs Europas BIP im 19. Jahrhundert etwa 4% im Jahr, liegt es in Südostasien zwischen 7 und 8% real im Jahr.

Und auch politisch profitiert man: Denn anders als im 19. Jahrhundert interessieren sich die Menschen und Medien in anderen, reicheren Ländern heute für die Produktionsbedingungen in den Aufsteigerländern. Und das ist auch gut so. Denn so ist den Menschen vor Ort noch schneller geholfen und die Phase des ersten, harten Aufstiegs dauert noch kürzer.



[1] Genau genommen druckt sie Geldscheine in Höhe der Wertschöpfung, also Umsatz minus Vorleistungen

[2] „Jobs für Jedermann“, Deutschlandfunk, 27.3.2010

[3] Internationale Arbeitsorganisation, Unterorganisation der UNO

Bild: Martin / pixelio.de/ © www.pixelio.de

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