Freitag, 29. März 2024
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Wie professionell ist die EU-Kommission?

Der August ist in Brüssel traditionsgemäß die Sauregurkenzeit, in der  EU-Zentrale bricht die totale Urlaubsstimmung aus, die Kommission macht   geschlossen Ferien – eine wunderbare Gelegenheit, einmal in aller Ruhe die Qualifikation der Kommissarinnen und Kommissare für ihre derzeitige Funktion zu überprüfen. Wenn man diese – bildlich gesprochen – in einer Art Nacktscan auf Ausbildung, bisherige Tätigkeit und politische Erfahrung untersucht, gelangt man zu ziemlich interessanten Erkentnnissen.

[[image1]]Die meisten Granden der Europäischen Union sind nämlich für einen Themenbereich verantwortlich, der alles andere als ihr Spezialgebiet ist.  Folglich muss der Eindruck entstehen, dass diese Top-Jobs nicht mit optimal geeigneten Kandidaten besetzt sind, sondern weitgehend nach dem Zufallsprinzip vergeben worden sind.

Aber schön der Reihe nach: Grundsätzlich ist die Feststellung vorauszuschicken, dass die 28köpfige „Europa-Regierung“ fast durchwegs aus gut ausgebildeten, jahrelang in etlichen leitenden Positionen tätigen und politisch durchaus erfahrenen Mitgliedern besteht. Diese haben, so wie EU-Präsident José Manuel Barroso, mehrheitlich Wirtschaftswissen-schaften studiert, was prinzipiell kein Nachteil sein dürfte, weil die Union ja ziemlich viel mit Wirtschaft zu tun hat. Auch das zweitbeliebteste Jura-Studium oder ein Abschluss in Politikwissenschaft, Soziologie oder Volkswirtschaft stellen für die Brüsseler Spitzen eine geeignete Wissensgrundlage dar. Jene, die Physik, Literaturwissenschaft oder Anthropologie studiert bzw. so wie der französische Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier lediglich eine Ècole Supérieure de Commerce geschafft haben, sind ohnedies deutlich in der Minderheit.

Die von ihrem Land vorgeschlagenen Damen und Herren waren übrigens in zehn Fällen als Uniprofessoren oder Dozenten tätig, ehe sie sich allesamt politisch engagiert haben. Sie bringen jede Menge Erfahrung als überwiegend langjährige Abgeordnete, Staatssekretäre und Minister mit, einige Parteigründer wie der lettische Entwicklungs-Kommissar Andris Piebalgs und hochrangige Diplomaten wie der Ungar Stefan Füle veredeln die angebliche Elite-Truppe. Sie haben teilweise wie die bereits  73jährige Niederländerin Neelie Kroes als Kommissarin für die Digitale Agenda beeindruckende EU-Langzeit-Karrieren hingelegt, die irische Wissenschafts-Kommissarin Maire Geoghegan-Quinn konnte sich sogar vorab als Romanautorin („The Green Diamond“) einen Namen machen. Überdies sprechen sie vielfach mehrere Sprachen – die für Innenpolitik zuständige Kommissarin aus Schweden, Cecilia Malmström, zum Beispiel gleich sechs – , und sie haben teilweise eine spektakuläre Curriculum Vitae vorzuweisen – die Bulgarin Kristalina Georgiewa etwa lehrte an der Harvard University bzw. der London School of Economics und wechselte sodann zur Weltbank, wo sie es zur Vizepräsidentin gebracht hat.

Trotzdem steht das, was sie derzeit in Brüssel zu erledigen haben, in der Regel nicht im Einklang mit dem, was sie ursprünglich gelernt bzw. danach im Berufsleben gemacht haben. Bestes Beispiel: Die Griechin Maria Damanaki, die Chemieingenieurswesen studiert hatte und bereits 1977 erstmals ins hellennische Parlament eingezogen war, ist heute aus unerfindlichen Gründen für das Ressort Fischerei und maritime Angelegenheiten zuständig. Bleibt zu hoffen, dass die 51jährige Pasok-Politikerin zumindest als passionierte Hobbyanglerin zu betrachten  ist.

Drei Jobs in elf Jahren

Das exakte Gegenteil – einschlägiger Experte am richtigen Fleck – personifiziert der 44jährige Rumäne Dacian Ciolos: Der gelernte Agraringenieur hat sich Zeit seines Lebens, etwa im Agrarministerium,  mit Landwirtschaft beschäftigt, war kurzzeitig Minister und ist seit 2010 in Brüssel für dieses Ressort verantwortlich. Auch Connie Hedegaard, die dänische Kommissarin für Klimaschutz, bringt, wiewohl sie Literatur-wissenschaft und Geschichte studierte und als Journalistin startete, mit hoher Wahrscheinlichkeit die erforderliche Expertise mit: Sie war schließlich schon  Dänemarks Umweltministerin, leitete danach das Klima- und Energieressort und brachte es sogar zur Sonderministerin für die UN-Klimakonferenz, ehe sie Barroso für die jetzige Funktion erkor. Für den polnischen Ex-Minister für Reprivatisierungen, Janusz Lewandowski, der heute als Kommissar für Finanzplanung und Haushalt agiert, spricht wiederum, dass er sechs Jahre lang im Europäischen Parlament saß und dort sogar als Vorsitzender des Haushaltsausschusses eingesetzt war. Und dass Algirdas Semeta, einstiger Finanzminister Litauens, seine Rolle als Kommissar für Steuern und Zollunion souverän im Griff hat, ist schließlich auch anzunehmen.

Es ist allgemein bekannt, dass die meisten Politiker auch ohne  spezifisches Vorwissen und einschlägiges Vorleben vielseitig einsetzbar sind – weil sie sich nämlich a) als flexible Allrounder betrachten, sich b) zu allen Stichwörtern problemlos äußern können, ohne dabei allzu tief ins Thema einzudringen, und sich c) ohnedies auf sachkundige Beraterstäbe verlassen dürfen, die für das tägliche Geschäft zuständig sind. Deshalb ist es  häufig üblich – und dennoch recht erstaunlich – , dass sich vermeintliche Universalgenies im Metier Politik waghalsig von einem Abenteuer ins nächste stürzen: Der belgische Berufpolitiker Karel De Gucht etwa, der seit 1980 immerhin 14 Jahre lang im Europäischen Parlament gedient hatte, dann in den Senat bzw. das Abgeordnetenhaus Belgiens wechselte und schließlich Außenminister wurde, stieg 2009 praktisch ohne nennenswerte Qualifikation zum EU-Kommissar für Entwicklung und humanitäre Hilfe auf, und schon paar Monate später wurde er aus ähnlich unerfindlichen Gründen Kommissar für Handel.

Ähnlich schillernd ist die Europa-Laufbahn des Spaniers Joaquin Almunia, einstmals Professor für Arbeitsrecht an der Harvard University sowie Minister für Arbeit bzw. für öffentliche Verwaltung: Er fungierte zunächst als Kommissar für Wirtschaft und Währung und switchte 2010 ins Ressort Wettbewerb – warum ist nicht mehr eruierbar. Ihre unerschrockene Vielseitigkeit stellte auch die studierte Anthropologin, langjährige Journalistin und durchaus erfahrene Europa-Politikern Viviane Reding hinlänglich unter Beweis: Die Luxemburgerin wurde 1999 nach zehn Jahren im EU-Parlament Kommissarin für Bildung, Kultur, Medien und Sport, bekam dann das Ressort Medien und Informationsgesellschaft zugeteilt und ist seit 2010 in Sachen Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft unterwegs – macht also drei ziemlich unterschiedliche Herausforderungen in elf Jahren.

Auch der Slowene Janez Potocnik, einst Chefunterhändler seines Landes bei den Beitrittsverhandlungen mit Brüssel, hat im Blitztempo drei Aufgaben erledigt: Zunächst war er Erweiterungskommissar, dann mit Wissenschafts- und Forschungspolitik befasst, schließlich übernahm er das Umweltressort.  Der Finne Olli Rehn, der  1998 als Kabinettschef des EU-Kommissars Erkki Liikanen abhob, musste ebenfalls mehrmals umsatteln: Romano Prodi hatte den einstigen finnischen Abgeordneten 2004 zum Kommissar für Unternehmen und Informationsgesellschaft bestellt, Barroso kürte ihn sodann zum Erweiterungskommissar, und seit drei Jahren verantwortet Rehn das Ressort Wirtschaft und Währung, wobei ihm das nötige fachliche Rüstzeug einiger Maßen zur Verfügung zu stehen  scheint.

Dieses ist bei manchen seiner Kolleginnen und Kollegen freilich kaum zu vermuten: Weshalb die britische Baroness Catherine Ashton von Barroso im Oktober 2008 zunächst zur Kommissarin für Handel und schon im Jahr danach zur Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik geadelt wurde, dürfte wohl für immer ein wohlgehütetes Geheimnis des EU-Kommissionspräsidenten bleiben – die Britin hatte in ihrer Heimat eine Zeit lang eine provinzielle Gesundheitsbehörde geleitet, war Mitglied des Oberhauses, danach Staatssekretärin im Bildungsministerium, dann selbiges im Verfassungsministerium und schlussendlich wieder Staatssekretärin im Justizministerium – mit Außen- und Sicherheitspolitik hatte sie freilich noch nie etwas am Hut.

Das große Posten-Lotto

Der bislang übliche Ausleseprozess und die an die an eine Verlosung erinnernde Postenvergabe im EU-Headquarter hinterlassen jedenfalls einen schalen Nachgeschmack: Gestrenge Kritiker, die den bisweilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Aktivitäten der Kommissarinnen und Kommissare permanent auf der Spur sind, können sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die derzeitige Besetzungsliste in Brüssel alles andere als optimal ist. Fragen über Fragen bleiben offen, darunter das Rätsel, was beispielsweise den rot-weiß-roten Kommissar Johannes Hahn, der bekanntlich Wiener Gemeinderat, Generaldirektor eines Glückspielkonzerns sowie Wissenschaftsminister gewesen ist, zum idealen Regionalpolitiker der Union befähigt haben könnte.

Oder weshalb der deutsche CDU-Politiker Günther Oettinger, ein klarer Befürworter von Atomkraftwerken, justament für Europas Energiepolitik nominiert und in der Folge vom EU-Parlament auserwählt wurde. Als ehemaliger Minister-präsident von Baden-Württemberg hat ihn diese Materie schließlich bloß als eine von hunderten befasst. Obendrein  taucht automatisch die Frage auf, ob es wie beim Italiener Antonio Tajani bereits genügt, wenn man die rechts-konservative Forza Italia mitbegründet und als Silvio Berlusconis Pressesprecher gedient hat, um bereits fünf Jahre als  EU-Kommissar zu amtieren, zunächst für Verkehr, nunmehr für Unternehmen und Industrie. Hand aufs Herz: Versteht der  60jährige Italiener davon tatsächlich  etwas oder ist alles nur Show?

Augenscheinlich ist, dass die Affinität vieler EU-Granden zu ihrem jetzigen Aufgabenbereich relativ bescheiden bis gar nicht vorhanden sein dürfte: Warum der estnische Ex-Ministerpräsident Siim Kallas, der es zuvor vom Sparkassen-Direktor bis zum Präsident der Nationalbank in Estland gebracht hatte und nebenbei auch noch Gewerkschaftsvorsitzender, Gastprofessor, Gründer der wirtschaftsliberalen Reformpartei, Außen- sowie Finanzminister gewesen ist, ausgerechnet dem Ressort Verkehr vorsteht, bleibt einigermaßen schleierhaft. Was den ebenfalls professoralen Ungarn László Andor, der fünf Jahre dem Verwaltungsrat der Europäischen Bank für Wiederaufbau angehört hatte, nunmehr für das Ressort Beschäftigung, Soziales und Integration prädestiniert, ist genau so wenig nachvollziehbar. Und wieso ausgerechnet der gelernte slowakische Diplomat Maros Sefkovic, der 2003 zum Abteilungsdirektor des Außenministeriums ernannt und nach dem EU-Beitritt des Landes als Ständiger Vertreter der Slowakei bei der EU gekürt worden war, die optimale Wahl für das EU-Ressort Bildung und Kultur zu sein schien, das er im Jahr 2009 übernahm, muss ebenfalls ungeklärt bleiben – schließlich hat er es ja inzwischen schon gegen institutionelle Beziehungen und Verwaltung eingetauscht.

In Zukunft sollten Personalentscheidungen, die noch in jüngster Zeit an Hoppalas gemahnen und einfach nicht plausibel zu machen sind, tunlichst nicht mehr passieren: So etwa war es offensichtlich eine Verlegen-heitslösung, als das EU-Parlament den hochkarätigen Malteser Tonio Borg im Oktober 2012 zum neuen Gesundheits-Kommissar wählte. Der gelernte Rechtsanwalt war nämlich bisher bereits Innen- , Justiz- und Außenminister sowie stellvertretender Premierminister der Mittelmeerinsel, aber Gesundheit – nein, das war nicht dabei. Auch für Neven Mimica, bis vor kurzem Vizepremier Kroatiens, musste ein Job geschaffen werden, weil ja jeder EU-Mitgliedsstaat Anspruch auf ein Ressort hat: Der frühere Diplomat musste vor wenigen Tagen notgedrungen das Thema Verbraucherschutz übernehmen, das dem Vernehmen nach nicht gerade zu seinen Faibles zählt.

Brüssel braucht die besten Köpfe

Wenn die Kommission nach der nächsten Europa-Wahl nicht mehr ein Produkt aus puren Zufälligkeiten sein, sondern an Qualität gewinnen soll, ist der gängige Modus schleunigst zu überdenken: Bislang lief das so ab, dass alle Mitgliedsstaaten dem designierten Kommissionspräsidenten blindlings je eine(n) Glückliche(n), auf die/den sich die Parteien – oft mit Ach und Krach – einigen konnten, vorschlugen, ohne zu wissen, welches Ressort sie/er leiten werde. Die gesamte Liste der Kandidaten musste sodann vom Rat in Absprache mit dem neuen EU-Boss mit qualifizierter Mehrheit abgesegnet werden. Als nächstes wurden den Genannten, die nicht automatisch die Besten des betreffenden Landes sein mussten, sondern zum Beispiel mit Versorgungsposten belohnt wurden, die jeweiligen Ressorts zugeteilt. Die Nominierten wurden schlussendlich vom EU-Parlament befragt, das eine Stellungnahme abgab und letztlich die neue Kommission mit qualifizierter Mehrheit ernannte.

Es ist zwar schade, dass die ursprünglich laut Vertrag von Lissabon geplante Verkleinerung der Kommission doch nicht realisiert werden dürfte – die kleineren Staaten haben sich rechtzeitig darüber empört, dass nur noch zwei Drittel der Mitgliedsländer einen Kommissar hätten stellen sollen – , aber noch ist nicht alles verloren: So etwa wäre es überlegenswert, dass jedes Land vom nächsten EU-Präsidenten vorab drei Ressorts zugeteilt bekommt und folglich die drei hierfür besten Kandidaten nominiert. Damit stünde ein weit größeres Reservoir an potenziellen Kommissaren zur Verfügung, die für die gestellte Aufgabe auch die nötigen Voraussetzungen mitbrächten. Die Hearings im Europäischen Parlament sollten daher noch strenger ausfallen, damit politische Leichtgewichte oder Blender künftig keine Chance mehr erhielten. Ein solches neues System würde freilich nur dann funktionieren, wenn die 28 EU-Regierungen bereit wären, tatsächlich ihre besten Köpfe nach Brüssel zu entsenden. Es sollte jedenfalls nie mehr passieren, dass jemand wie die derzeitige Bildungs-Kommissarin Androulla Vassiliou aus Zypern mit 67 Jahren offenbar nur deshalb zum Zug kam, weil sie die Ehefrau des früheren zypriotischen Staatspräsidenten ist und für den Verlust ihres eigenen Parlamentssitzes entschädigt werden sollte.

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