Freitag, 29. März 2024
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Türkei vor Finanzcrash?

Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat aktuell beste Chancen, nicht nur seine politische Reputation vollends zu verspielen, sondern auch die wirtschaftlichen Errungenschaften seiner Regierungszeit, die ebenso schnell verloren sein könnten, wie die ausländischen Kredite.

[[image1]]Tatsächlich ist die Türkei seit der Machtübernahme der AKP im Jahr 2003 kaum noch wieder zu erkennen. So wurden mehr als eine halbe Million staatlich geförderter Wohnungen errichtet, das Autobahnnetz von knapp 6.000 auf mehr als 21.000 Kilometer ausgebaut; dazu kommen gewaltige Regierungsprojekte wie der Ilisu-Staudamm oder ein dritter Flughafen in Istanbul, der als das größte der Welt in Planung ist, dazu enorme private Investitionen in Tourismusprojekte und protzige Einkaufsmalls in so gut wie jeder Stadt.

Mit im Schnitt mehr als fünf Prozent Jahreswachstum übertraf die Türkei locker die Aufholjagd der neuen EU-Staaten aus dem ehemaligen Ostblock, weshalb internationale Investoren die Türkei bald zum Wirtschaftswunderland erklärt und offenbar alles finanziert hatten, was gut und vor allem teuer war – also insbesondere das Leistungsbilanzdefizit, das seit Erdogans Regierungsantritt schwer im Minus liegt und alljährlich fünf bis zehn Prozent des Innlandsproduktes erreichte.

Seit dem Ausbruch der Massenproteste im vergangenen Sommer ist die ausländische Finanzierungsbereitschaft allerdings drastisch zurückgegangen. Laut einer von der türkischen Oppositionspartei CHP in Auftrag gegebenen Studie wären im ersten Halbjahr 2013 noch 34,9 Mrd. Dollar ins Land geflossen, von Juni bis Dezember aber nur mehr 16,2 Mrd. Dollar, was nur noch halb so viel war, als für das Stopfen des Leistungsbilanzloches erforderlich gewesen wäre. Die Folge war ein beispielloser Absturz nicht nur der Aktienbörse, sondern vor allem der türkischen Lira, der große Teile der Privatwirtschaft mittlerweile an den Rand des Bankrottes drängt.

255 Mrd. Dollar an Auslandsschulden

Denn die türkische Privatwirtschaft hat laut Vizeregierungschef Babacan inzwischen mehr als 255 Mrd. Dollar an Auslandsschulden angehäuft, die noch dazu kurzfristig fällig gestellt werden könnten. Die Haushalte sind hingegen vor allem im Inland verschuldet, wobei rund 45 Prozent auf Immobilienhypotheken und etwa drei Prozent auf Auto-Kredite entfallen, der ganze Rest von über 120 Milliarden Lira aber den privaten Konsum finanziert hat. Da die Zinsen angesichts der unhaltbaren Zustände seit zwei Jahren drastisch ansteigen, sieht Erdogan das Land in der Knechtschaft einer nicht näher spezifizierten „Zins-Lobby“, die auch für die grassierenden Unruhen verantwortlich sei, die es zu bekämpfen gelte und hinter der unschwer die übliche jüdische Weltverschwörung zu erkennen ist.

Devisenreserven unter 100 Millionen Dollar abgefallen

Während Inflationsrate und Leistungsbilanzdefizit weiter ansteigen, dürften die Devisenreserven, die in der Türkei weit unter den in Asien üblichen Niveaus liegen, durch die jüngsten Lira-Käufe der Zentralbank unter 100 Millionen Dollar abgerutscht sein.

Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Lira-Krediten, woran auch nichts geändert hat, dass die Zinssätze für private Kreditnehmer mittlerweile auf oft mehr als 20 Prozent angestiegen sind. Denn anscheinend spielt für viele Schuldner der Zinssatz ohnehin kaum noch eine Rolle, sondern es scheint zunehmend schlicht eine Überlebensfrage zu sein, überhaupt Refinanzierungen für alte Schulden zu bekommen, so dass die Banken oft lieber prolongieren, als ihre Kredite fällig zu stellen und den Schuldner in den Konkurs zu treiben. Insofern findet sich die Notenbank also in der Zwangslage, der übermäßigen Teuerung und der Kreditexpansion eigentlich mit Lira-Zinserhöhungen entgegen treten zu müssen, was zudem den Außenwert der Lira stärken sollte. Gleichzeitig muss sie verhindern, die schwer im Ausland verschuldete Privatwirtschaft abzuwürgen, die mit jedem weiteren Einbruch der Lira nur immer tiefer in die Krise rutscht.

Inflationsrate bald zweistellig?

Obwohl die Inflationsrate sich bereits in Richtung zweistelliger Regionen zu bewegen scheint, dürfte die Unabhängigkeit der Zentralbank aber ohnehin nicht so weit gehen, noch vor den im Frühjahr anstehenden Regionalwahlen an der Zinsschraube zu drehen. Nachdem diese Woche für einen Euro erstmals mehr als drei Lire (und 2,3 Lire für einen US-Dollar) zu haben waren, bleibt zwar als kleiner Lichtblick dass die internationale Konkurrenzfähigkeit der Türkei währungsbedingt zunimmt, nur dürfte der türkischen Wirtschaft die an Investitionsmitteln fehlen, um diesen Vorteil auch zu nutzen. Der Notenbank bleibt in dieser Situation folglich nur die Zuflucht zu Devisenmarktinterventionen, für die die Notenbank diesen Mittwoch 1,5 Milliarden Dollar aufgewendet haben soll.

Finanzblase vor „sudden Stopp“

Für Sebnem Kalemli-Ozcan, Ökonomin an der University of Maryland/US, war die vergangene Dekade zudem insofern eine „politische Blase“, als keinerlei größere strukturelle, institutionelle oder legale Reformen durchgeführt wurden. Und sie wäre „nicht überrascht“ wenn auch eine „Finanzblase“ entstanden wäre, deren „sudden Stop“ vor der Tür stehe. Denn gerade der Bausektor, der im Zentrum des aktuellen Korruptionsskandals stehe, habe 70% seiner Schulden gegenüber dem Ausland, während es in der verarbeitenden (und exportierenden) Industrie nur rund die Hälfte sei. Kalemli-Ozcan zweifelt zudem die Angaben der Notenbank an, wonach dies Schulden „ausreichend langfristig“ finanziert wären, da die Notenbank dahingehend selbst nicht über ausreichend zuverlässige Informationen verfüge. Anscheinend kommen diese Sachverhalte ohnehin gerade durch die Eskalation der internationalen Finanzierungsverhältnisse ans Licht. So berichtet der Dachverband der türkischen Handelskammern TOBB von einem Negativtrend bei den Firmenschließungen, die im Dezember 2013 gegenüber dem Vormonat um 130 Prozent zugenommen haben sollen.

 

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