Donnerstag, 28. März 2024
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Sterben Europas Sozialdemokraten aus? (Teil 2)

Am 26. Februar wird in Irland gewählt. Wenn man den Meinungsforschern bloß halbwegs vertraut, steht der Irish Labour Party eine schwere Schlappe bevor: Derzeit noch als zweitstärkste Kraft in Lande Koalitionspartner der Mitte Rechts-Partei Fine Fael, wird sie laut aktuellen Prognosen von 20 auf sechs bis maximal zehn Prozent Stimmenanteil abstürzen.

Die irischen Sozialdemokraten, die mit Michael D. Higgins sogar den Staatspräsidenten stellen, liegen damit in einem geradezu irren Abwärtstrend, der fast allen ihrer europäischen Schwesterparteien seit Jahren zu schaffen macht. Auch die zwei anderen linken Gruppierungen, die sich in Irland der Wahl stellen – die Socialist Party (SP) sowie die erst Mitte des Vorjahres gegründeten Social Democrats (SD) – werden laut Wahlpropheten von höchstens ein bis drei Prozent der Wähler das Vertrauen erhalten und damit chancenlos sein.

Das Dilemma, in dem Europas sozialdemokratische Parteien – von Finnland bis Bulgarien – stecken, wurde vorige Woche an dieser Stelle mit beinahe einer Überdosis Fakten dokumentiert. Heute geht es um die Ursachen dieser politischen Talfahrt, die sich bereits vor vielen, vielen Jahren angekündigt hatte. Ralf Dahrendorf machte schon 1983 mit der Botschaft „Wir erleben das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ Furore. Der berühmte deutsch-britische Soziologe, der auch kurzzeitig Mitglied des deutschen Bundestags und Staatssekretär,  Anfang der Siebziger vier Jahre lang EG-Wissenschafts- und Bildungs-Kommissar sowie in den Neunzigerjahren Mitglied des britischen House of Lords war, begründete das damals so: Die traditionellen Kerndogmen der Sozialdemokraten – Schlagworte wie Wachstum, Gleichheit, Wohlfahrt, Staat oder Internationalismus – seien längst zur Selbstverständlichkeit geworden, weshalb ihre ideologische Programmatik zwar immer noch relativ attraktiv klinge, aber letztlich „ein Thema von gestern“ sei. Den Sozialdemokraten ergehe es beim Ausklang des vorigen Jahrhunderts, so Dahrendorf weiter, so ähnlich wie den liberalen Parteien schon am Beginn des letzten Jahrhunderts: Sie verlieren ihre Identität und damit ihre Unverwechselbarkeit, weil ihr gut gemeintes Grundkonzept längst zum Allgemeingut geworden sei, denn beispielsweise würden auch christdemokratische Parteien sozialdemokratische Politik machen.

Der so genannte „Dritte Weg“ – ein vom britischen Soziologen Anthony Giddens geprägter Begriff – hat zwar die Krise der Sozialdemokraten um etliche Jahre hinausgezögert, doch die flexible Politik in der Mitte, für die ein Gerhard Schröder und ein Tony Blair gestanden sind, konnte das Dilemma nicht abwenden. „Wenn Sozialdemokraten ihre tradierten Werte über Bord werfen“, schrieb Paul Lendvai im „Standard“, „gefährden sie auch die Zukunft der liberalen Demokratie“. Die Schwäche der roten Arbeiterparteien, die zumeist von ebenso bremsenden wie zügellosen Gewerkschaften vor sich her getrieben und immer bedeutungsloser wurden, ermöglichte nämlich erst den Siegeszug der rechts- und linksextremen Populisten sowie der nationalistischen Fanatiker in ganz Europa.

Die Leitfiguren fehlen

Dass selbst langjährige sozialdemokratische Stammwähler den zumeist dubiosen Verheißungen von ultralinken Parteien wie der griechischen Syriza oder der spanischen Podemos erliegen und letztlich auf Nimmerwiedersehen abwandern ist ebenso wenig zu bestreiten wie das Faktum, dass es auch grüne Parteien mit der Zeit geschafft haben, von traditionell roten Anhängern als wählbare  Alternative wahrgenommen zu werden. Immer mehr „linke“ Wählerinnen und Wähler finden überdies an der plumpen Protestmasche von rechtsextremen Populisten wie dem französischen Front National oder der niederländischen Partei für die Freiheit zusehends Gefallen und verabschieden sich von den klassischen Sozis. An den in den vergangenen Jahre geradezu dramatischen Stimmenverlusten der Sozialdemokraten sind indes nicht nur die „Mitbewerber“ Schuld, sondern sie sind in erheblichem Maße hausgemacht – zum Beispiel auf Grund personeller Probleme an der Spitze. Das Fehlen starker, charismatischer Persönlichkeiten ist eklatant: Während frühere Polit-Granden wie Willy Brandt, Helmuth Schmidt, Francois Mitterand, Bruno Kreisky, Olof Palme, Portugals Mário Soares und Spaniens Felipe Gonzáles, etwas später dann noch Tony Blair und Gerhard Schröder das Erscheinungsbild des sozialistischen Lagers im Alleingang positiv prägen konnten, ist diesen Leitfiguren wenig Eindrucksvolles gefolgt. Kurt Beck oder Franz Müntefering in Deutschland bzw. Gordon Brown oder Ed Miliband im Vereinigten Königreich, Alfred Gusenbauer oder die Schweden Göran Persson und Mona Sahlin – um nur einige Beispiele zu nennen – haben in roten Parteichroniken kaum Spuren hinterlassen, zumindest so gut wie keine erfreulichen…

In negativer Hinsicht indes haben einige ehemalige Parteikapos den Sozialdemokraten massiv geschadet. Bestes Beispiel ist Bettino Craxi, in den Achtzigern Chef der PSI (Partito Socialista Italiano) und vier Jahre sogar Ministerpräsident. Er war für die Verstrickung der Partei in Korruptions- und Schmiergeldskandale verantwortlich, floh ins Exil und wurde von italienischen Gerichten in Abwesenheit mehrmals verurteilt. 1994 fielen die Sozialisten daraufhin auf den Status einer Splitterpartei zurück und spalteten sich in mehrere Flügel auf. Der einstige Ministerpräsident Ungarns, Ferenc Gyurcsány, hat seine sozialdemokratische MSZP ebenfalls in Verruf gebracht: Nach den siegreichen Wahlen 2006 ist in den Medien ein Tonband aufgetaucht, in dem Gyurcsány zugab, die Wähler belogen zu haben. Wochenlange Bürgerproteste und massive Kalamitäten mit dem Koalitionspartner zwangen ihn letztlich zum Verzicht auf alle Ämter. In Rumänien wiederum musste der sozialdemokratische Ministerpräsident Victor Ponta im Vorjahr notgedrungen das Handtuch werfen, weil gegen ihn Ermittlungen wegen Korruption liefen. Es hat jedenfalls ganz den Anschein, als wären schwarze politische Schafe im roten Lager häufiger anzutreffen als bei anderen Parteien…

Die heutigen Parteivorsitzenden der Roten, etwa Sigmar Gabriel, Jeremy Corbyn, aber auch Francois Hollande, Stefan Löfven (Schweden) und Werner Faymann, scheinen – unabhängig von ihrer aktuellen Funktion – allesamt auf verlorenem Posten zu stehen. Ihr Manko an Überzeugungskraft, geschweige denn Charisma, ihre lediglich bescheidene Durchsetzungsfähigkeit und eine ziemlich schwach entwickelte Popularität sind, im Konnex mit nur wenigen sichtbaren Erfolgen im politischen Alltag, daran Schuld, dass sie permanent heftiger, teilweise auch innerparteilicher Kritik ausgesetzt sind. Auf Grund wenig durchdachter und schon gar nicht moderner Parteiprogramme oder klarer ideologischer Strategien hanteln sie sich von Problem zu Problem, wobei sie zu wichtigen Themen oft gar keine verständliche Position einzunehmen im Stande sind, offenbar lediglich darauf bedacht, ihre Funktion so lange wie möglich zu verteidigen – als wäre die Politik eine Art Überlebenstraining.

Für Europas sozialdemokratische Parteibosse sind Wahlsiege längst zu Raritäten geworden, die sie anscheinend auch selbst kaum noch erhoffen mögen.  Ihr einstiger Siegeszug ist jedenfalls längst beendet: Hatte es beispielsweise im Jahr 1981 in den heute 28 EU-Mitgliedstaaten (von denen damals elf noch kommunistisch waren) noch neun von den Sozialdemokraten und nur acht von Konservativen geführte Regierungen gegeben, so sieht das im Langzeitvergleich derzeit ganz anders aus:

O Im Augenblick spielen Sozialdemokraten nur noch in zehn EU-Ländern, darunter Frankreich, Italien und Schweden, die erste Geige in der Regierung (Spanien könnte das elfte sein, falls SP-Chef Sanchez als Wahlverlierer tatsächlich eine Koalition bilden kann);

O in zehn Staaten (noch inklusive Spanien), u.a. in Deutschland, dem Vereinigten Königreich und in Polen, steht ein(e) rechte(r) Regierungschef(in) an der Spitze; und

O in sechs Koalitionen, zum Beispiel in Belgien, den Niederlanden und Dänemark, geben die Liberalen den Ton an.

Fazit: Die Sozialdemokraten, die obendrein noch in fünf Fällen Juniorpartner sind und damit (ohne Spanien) alles in allem in 15 Regierungen vertreten sind, befinden sich also klar in der Minderheit: Konservative können insgesamt in 16, die Liberalen in neun Kabinetten (mit)regieren – macht zusammen 25. Nicht mit einbezogen sind dabei übrigens Griechenland, wo die ultralinke, einst sogar radikale Syriza ebenso Höllenqualen durchmacht wie die Bürger – vor allem jene, die ihr auf den Leim gegangen sind – , sowie Rumänien, wo seit kurzem eine parteilose Truppe unter Premier Dacian Cioloș am Werk ist, die die Sozialdemokraten abgelöst hat.

Immer mehr Gegenwind

Der Paradigmenwechsel hat primär mit den großteils nicht mehr zeitgemäßen Parteiprogrammen der Sozialdemokraten zu tun, die dringend eine Frischzellenkur benötigen würden;  er ist gewiss auch Konsequenz der in vielen Ländern spürbaren neuen politischen Kultur: Häufige Regierungskrisen und wechselnde Mehrheiten in den Volksvertretungen ließen vielfach eine stark zersplitterte Parteien-landschaft entstehen: Nicht selten haben sozialdemokratische Funktionäre aus Frust kurzerhand eigene Parteien aus dem Boden gestampft, um ihre politischen Ziele besser präzisieren zu können. In etlichen EU-Staaten buhlen folglich zwei oder gleich drei sozialistische Parteien um die Wählergunst. In Schweden  beispielsweise gibt es neben der S (Socialdemokraterna), die den Regierungschef stellt, schon seit fast hundert Jahren auch die lange in der Nähe des Kommunismus angesiedelte V (Vänsterpartiet), die etwa sechs Prozent der Stimmen auf sich vereint, jedoch 1998 noch doppelt so stark war. In den Niederlanden wiederum muss sich die PvdA (Partei der Arbeit) als Nummer Zwei mit der weitaus linkeren Socialistische Partij als Nummer Vier herumschlagen, die sich auf Oppositionspolitik konzentriert. In Irland schließlich ist das sozialdemokratische Lager, wie eingangs erwähnt, gleich in drei Polit-Labels gespalten.

Kurzum: Aus den einstigen Arbeiterparteien, die in ihrer Blütezeit im Dienste ihrer klar umrissenen Klientel klare Ziele verfolgten, sind  ideologisch entschärfte Parteien unterschiedlicher Rot-Schattierungen geworden. Doch während die früher meist staatstragenden sozialdemokratischen Großparteien noch breite Bevölkerungs-schichten anzusprechen verstanden, mutet das heutige Wählerpotential deutlich bescheidener an. Die breite Masse in der Mitte mit einer zentristischen Politik anzusprechen – so wie das Gerhard Schröders SPD noch geschafft hat -, gelingt den heutigen Sozialdemokraten nicht mehr. Auch wenn der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ihr oberstes  Ziel ist – welche andere Partei peilt denn dieses Ziel nicht an ? – ist immer deutlicher geworden, dass die roten Grund-einstellungen  von früher nichts mehr taugen: Jetzt braucht es nicht mehr, sondern weniger Staat, jetzt müssen die Errungenschaften im Sozialsystem nicht ausgebaut, sondern eingeschränkt werden, jetzt gilt es nicht, sowohl Steuern als auch staatliche Ausgaben zu erhöhen, denn die Bürger wollen niedrigere Steuern und Sozialabgaben, zugleich aber  auch weniger Bevormundung und Reglementierung, dafür mehr Eigenverantwortung und individuelle Chancen.

Die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre hat zudem noch etwas klar gemacht:  dass sich linke Parteien bei der Bewältigung von Problemen schwerer tun als konservative, christdemokratische oder liberale Regierungen – Wirtschaftskompetenz wird sozialdemokratischen Politikern so gut wie niemals zugetraut. Faktum ist, dass etwa Deutschland unter Angela Merkel in vielerlei Hinsicht besser über die Runden gekommen als Frankreich unter Francois Hollande; selbst David Cameron, der nicht gerade eine traumhafte Leistungsbilanz vorlegen konnte, hat zumindest die Wahl im Vorjahr wieder gewonnen, die dänische Luxus-Rote Helle Thorning-Schmidt  indes ist abgewählt worden. Nicht zu leugnen ist obendrein, dass rote Regierungen unter José Louis Zapatero bzw. José Socrates etwa Spanien und Portugal ins Schulden-Schlamassl getrieben haben, doch die konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy und Pedro Passos Coelho mit beinharten Sparprogrammen die Aufräumarbeiten erledigen mussten. Daher hat sich europaweit der Eindruck  gefestigt, dass Sozialdemokraten für‘s Krisenmanagement nichts taugen, weil ihnen in entscheidenden Momenten der Mut zu unbequemen Lösungen fehlt und weil sie obendrein zumeist unter der Knute von ewig einfordernden Gewerkschaften stehen. Notgedrungen lassen sie sich daher immer wieder von Parteien rechts der Mitte vor sich her treiben, wofür etwa hier zu Lande die Faymann-SPÖ seit Monaten den überzeugenden Wahrheitsbeweis erbringt.

Falls sie sich nicht rasch neu positionieren können, was ohne personelle Revirements à la Malta, wo ein erst 44-jähriger Labour-Regierungschef namens Joseph Muscat immerhin noch 55 Prozent der Wählerschaft hinter sich hat, und ohne glasklaren Realitätssinn statt überlebter Weltsicht nicht möglich wäre, werden Europas sozialdemokratische Parteien die Verliererstraße nicht verlassen. Und sich die schmerzliche Frage stellen müssen, wie lange es noch dauert, bis sie endgültig in der Bedeutungslosigkeit versinken.

Neues Netzwerk – neuer Name?

Wie schlimm es um die Sozialdemokratie tatsächlich schon bestellt ist, ersieht man nicht zuletzt an der Sozialistischen Internationale (SI). Dieser 1889 in Paris gegründete weltweite Zusammenschluss von sozialistischen Parteien – in der Glanzzeit waren es 168 – hat nämlich schon lange nichts mehr zu lachen. 2013 stellte die SPD ihre Mitgliedschaft ruhend, weil sie die Handlungsunfähigkeit der Organisation im Hinblick auf zentrale politische Themen nervte. Als nächstes beschloss die britische Labour Party, sich auf einen Beobachterstatus zurückzuziehen. Schließlich gingen auch die SPÖ  und die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) auf Distanz zur SI. Ein gewichtiger Grund hierfür war, dass in dem von A wie Algerien bis Z wie Zimbabwe reichenden Spektrum etliche merkwürdige Parteien dabei sind, die von gestandenen Sozialdemokraten nicht wirklich goutiert werden. 

Unter der Regie von  SPD-Boss  Sigmar Gabriel hat sich vor fast drei Jahren in Leipzig die Progressive Allianz formiert. Diese soll als internationales Netzwerk von mittlerweile schon 80 Parteien, darunter 26 aus dem EU-Bereich, eine effizientere Plattform für Kooperation sein als die SI.  Als eine Art Klassensprecher betätigen sich im 30-köpfigen Board vornehmlich der deutsche Vizekanzler, Frankreichs Francois Hollande, der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi sowie S & D-Fraktionsvorsitzende Gianni Pittella, ebenfalls aus Italien. Gemeinsam mit Genossen etwa aus Burkina Faso, der Dominikanischen Republik, dem Iran, Myanmar, Paraguay, Syrien, Weißrussland oder dem Yemen peilen sie den Wunschtraum an, aus ihrer geliebten Ideologie so rasch wie möglich wieder einen Welthit zu machen. Falls zwecks optimaler Bewältigung dieser strategischen Mammutaufgabe Zurufe von außen willkommen sind, wäre ein wohl besonders hilfreicher Vorschlag anzubieten: die Umbenennung aller sozialistischen/sozialdemokratischen Teilnehmer in Progressive Partei – selbstverständlich samt allen Details, die diese neue Bezeichnung auch rechtfertigen würden…

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