Donnerstag, 28. März 2024
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Separatismus: Die neueste EU-Seuche

Die russisch-stämmige Bevölkerung auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim, die laut russischer Staatspropaganda „von Faschisten und Radikalen bedroht“ worden sei, wollte von der Ukraine nichts mehr wissen und votierte am 16. März für den Beitritt zu Russland. Mit dem im Westen als illegal erachteten Referendum wurde die brutale Annexion sozusagen legalisiert und die Aufnahme der autonomen Republik in die Russische Föderation zumindest aus Sicht Moskaus sanktioniert.

[image1]]Der Krisenherd, der die Welt seit Monaten in Atem hält, kommt allerdings nicht zur Ruhe: Jetzt haben nämlich die 300.000 turksprachigen Krimtataren, die rund 12 Prozent der Bewohner stellen, endgültig von Russland genug. Vor wenigen Tagen forderten Vertreter des muslimisch geprägten Turkvolks die ethnische und territoriale Autonomie in ihrer historischen Heimat. Zur Zeit ist noch unklar, ob und wann es zu einem Referendum über die Zukunft kommen wird – fix ist allerdings, dass die Tataren unabhängig werden möchten.

Nicht unähnlich sieht eine nationalistische Bewegung in der westlich an die Ukraine angrenzenden Republik Moldau aus, die sich 1991 im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion für unabhängig erklärt hatte. Dort gibt es in zwei Landesteilen seit dem Bürgerkrieg vor mehr als zwei Jahrzehnten massive Bestrebungen russischsprachiger Minderheiten, das de facto unabhängige, jedoch von keinem anderen Staat anerkannte Transnistrien sowie die „autonome territoriale Einheit“ Gagausien von Moldawien abzuspalten. Ein bereits 1998 von der damals noch kommunistischen Regierung in Chisinau unterzeichnetes Kooperationsabkommen mit der EU und das Ende 2011 angekündigte Freihandelsabkommen mit Brüssel wurde nicht bloß vom Kreml mit größtem Argwohn betrachtet, sondern auch in den separatistischen Territorien. Anfang Februar kam es in Gagausien zu einer Volksabstimmung, bei der sich die klare Mehrheit für engere Beziehungen mit Russland ausgesprochen hat. Mit der Heimholung der Krim hat Wladimir Putin jedenfalls in den beiden Regionen weiterhin geschickt Öl ins Feuer gegossen und die Lage Moldawiens noch mehr destabilisiert.

Der zunehmend ungestümer agierende Kreml-Chef, der schon 2008 Georgien die Provinzen Südossetien und Abchasien abspenstig machte, könnte unter dem Vorwand, russisch-stämmige Bürger zu schützen, in weiterer Folge postsowjetische Bruderstaaten wie Weißrussland oder Kasachstan noch enger in seine Machtspielchen einbinden, was diese allmählich zu befürchten scheinen. Putin schwimmt damit auf einer extrem bedrohlichen Welle, die für ganz Europa zur Gefahr werden könnte: So wie die Krim von der Ukraine los wollte, möchten derzeit mehrere europäische Regionen einen eigenen Weg einschlagen. Im Bereich der EU machen sich – nicht erst jetzt, aber stärker denn je – Zerfallserscheinungen bemerkbar, die geradewegs auf den Kulminationspunkt zusteuern. So etwa werden die Schotten am 18. September per Referendum entscheiden, ob sie künftig eine von Großbritannien unabhängige Nation sein wollen. Für 9. November 2014 ist die nächste Volksabstimmung angesetzt, bei der es um die politische Zukunft Kataloniens geht. Dass Schottland, das derzeit lediglich über eine begrenzte Selbstverwaltung verfügt, aus der traditionsreichen Union mit England, Wales und Nordirland aussteigen möchte, geht London ebenso gegen den Strich wie die Souveränitätsbestrebungen der katalanischen Regionalregierung den Mächtigen in Madrid.

Rom sorgt für Frust

Der britische Premier David Cameron mag diesen Schritt ins Ungewisse ebenso wenig verstehen wie die spanische Regierung: Schottland, das bezüglich Wirtschafts-, Europa und Verteidigungs-politik bisweilen ganz andere Auffassungen vertritt als Downing Street 10, sei wohl nicht in der Lage, sich als selbstständiges Land  besser als derzeit behaupten zu können und habe daher auf Grund der engen Verflechtungen zahlreiche wirtschaftliche Nachteile zu befürchten. Ministerpräsident Mariano Rajoy wiederum will das in der Verfassung gar nicht vorgesehene Referendum mit allen Mitteln torpedieren. Er wird nicht müde zu argumentieren, dass sich das reiche Katalonien mit 7,5 Millionen Einwohnern im Fall des Falles mit enormen Troubles herumzuschlagen hätte: Die Katalanen, die sich sprachlich und kulturell unterdrückt fühlen, müssten nicht nur anteilsmäßig die Schulden des spanischen Zentralstaats übernehmen, sondern auch neue Ausgaben für Polizei, Grenzschutz, Verteidigung sowie die Renten- und Arbeitslosenversicherung tragen.

Auch Italien hat soeben eine separatistische Initiative der eher kuriosen Art erlebt: Bei einer von lokalen Parteien organisierten Onlineabstimmung sprachen sich 89 Prozent der mehr als zwei Millionen Teilnehmer innerhalb einer Woche für die Loslösung der Region Veneto von Rom und die Gründung eines unabhängigen Staates aus. Die Regionalregierung will auf Basis dieses rechtlich nicht relevanten Votums ein offizielles Referendum und letztlich die Sezession erreichen. Der Frust ist angesichts der Tatsache, dass Venetien 21 Milliarden Euro mehr nach Rom abzuliefern hat als es von dort erhält, zu groß geworden. Die Verfechter der Unabhängigkeit, darunter die rechtspopulistische Lega Nord, werfen der italienischen Regierung unter anderem vor, dass sie im Kampf gegen Wirtschaftsflaute und Korruption restlos versage. Sie wollen an die Tradition der früheren Venezianischen Republik anknüpfen, die ein wirtschaftlich und kulturell bedeutendes Handelszentrum gewesen ist. Das lässt die Regierung ziemlich unbeeindruckt, weil die Abspaltung einer Region der italienischen Verfassung gemäß gar nicht möglich ist.

Selbst wenn eine souveräne Republik Venetien nicht viel mehr als eine patriotische Illusion sein mag – andere könnten rasch auf den Geschmack kommen und nachziehen: In Sizilien beispielsweise wird demnächst ein Marsch für die Unabhängigkeit stattfinden, weil es den Inselbewohnern reicht. Auch in der Region Trentino-Südtirol, die einen Sonderstatus genießt, der eine weitgehende Autonomie, sowie höhere Finanzmittel als anderen Regionen garantiert, könnten die notorischen Befürworter eines unabhängigen Freistaats schon bald wieder auf das Selbstbestimmungsrecht pochen. Die aktuellen Ereignisse von der Krim bis Veneto seien geradezu eine Sternstunde, die Südtirol nicht verpassen dürfe, sagt etwa die Partei Süd-Tiroler Freiheit.

Obwohl die drei Sprachgruppen in Südtirol – deutsch, italienisch und ladinisch – darauf stolz sein können, beim Pro-Kopf-Einkommen Italiens Spitzenreiter zu sein, haben sie die Geschichte noch immer nicht bewältigt. Die latenten Spannungen machen den Südtirolern ähnlich zu schaffen wie in Belgien die ständigen Reibereien zwischen den Flamen, die niederländisch sprechen, und den französisch parlierenden Wallonen. Die Bestrebungen, dass sich die nördliche Region Flandern und das südliche Wallonien trennen, sind längst zum schier unlösbaren Problem geworden. Der Konflikt wird da und dort unermüdlich von Rechtspopulisten geschürt und stellt gerade für die EU-Hauptstadt Brüssel eine gigantische Belastung dar. Die innere Zerrissenheit des Königreichs ist von tiefer Symbolik: Wie sollen 28 recht unterschiedlich geartete Mitgliedsstaaten miteinander halbwegs friedlich auskommen, wenn das in Belgien nicht einmal zwei Volksgruppen schaffen?

Kleinstaaterei bringt nichts

Der vehemente Regionalismus in Europa, dessen Hauptziele die Abgrenzung von anderen, sowie das Streben nach Unabhängigkeit sind, ist offensichtlich nicht mehr aufzuhalten: Der Trend zum Separatismus, folglich zur selbstgewählten Isolation, ist selbst in Bayern nicht mehr zu übersehen. Gott möge abhüten, dass eines schönen Tages beispielsweise auch die Vorarlberger zur Ansicht gelangen, dass sie ohne Wien und die übrigen acht Bundesländer letztlich viel besser dran wären. Die angedachte Abspaltung von Landesteilen wirft nämlich, wiewohl das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger nicht so ohne Weiteres vom Tisch zu fegen ist, am Ende des Tages ganz zentrale Fragen auf: Welche Vorteile brächte es tatsächlich, wenn auf der britischen Insel, in Italien oder Spanien neue Mini-Länder entstünden – mit eigener Währung, eigener Verwaltung, eigener Polizei, eigener Landesverteidigung und womöglich wieder überlebt geglaubten Zollschranken? Wer würde in der Tat davon profitieren, wenn auf Grund von Referenden Landkarten anders aussähen und regionalen Einzelinteressen schlagartig zunähmen? Und wem würde es wirklich nützen, wenn scheinbar gestärkte Zwerge künftig gegen scheinbar geschwächte Riesen antreten müssten?

Mit Kleinstaaterei – übrigens hat schon Friedrich Nietzsche diesen Begriff gerne abwertend verwendet – lassen sich die Probleme des 21. Jahrhunderts wohl nicht besser lösen als durch eine möglichst starke Staatengemeinschaft. Daher sollten sich die Separatisten nicht nach der tiefsten Vergangenheit zurücksehnen. Vielmehr sind heute die Zentralregierungen in London, Rom, Madrid und wo auch immer gefordert, weitaus mehr Sensibilität an den Tag zu legen als derzeit üblich. Und auf die Anliegen, Forderungen und Probleme von Volksgruppen stärker einzugehen, die sich – aus welchen Gründen immer – benachteiligt, unterdrückt oder nicht genügend respektiert fühlen. Nur wenn es gelingt, ethnische, sprachliche oder religiöse Minderheiten in das große Ganze einzubinden, kann Europa zu einer famosen Erkenntnis gelangen: Es macht wenig Sinn, wenn künftig etliche Ministaaten jeweils solo im eigenen Schinakel durch die Gegend rudern. Ungleich besser wäre es, wenn alle europäischen Länder gemeinsam – wenn auch in getrennten Kabinen – auf einem Ozeandampfer unterwegs sein könnten.

Die Hoffnung, dass sich diese Einsicht letztlich durchsetzen könnte, stirbt zuletzt – denn Faktum ist: 22 Jahre nach der – bekanntermaßen friedlichen – Spaltung der Tschechoslowakei sind die einstigen  Probleme längst beigelegt, und die damals entstandenen Staaten, die Tschechische und die Slowakische Republik, kommen als EU-Mitglieder wieder gut miteinander aus. 22 Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens agieren auch Slowenien und Kroatien unter dem Dach der Europäischen Union Seite an Seite; Serbien und Montenegro sind offiziell bereits Beitrittskandidaten, obendrein drängen Mazedonien, Albanien sowie Bosnien-Herzegowina ebenfalls in die Gemeinschaft. Selbst der einstige Kriegsschauplatz Balkan wird also unter günstigeren Auspizien schön langsam wieder zusammenwachsen.

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