Freitag, 19. April 2024
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Schulen „abgesandelt“? OECD-Bildungsstudie rügt Österreich

Die OECD-Studie „Education at a Glance“ geht mit Österreich hart ins Gericht: Zu wenige Akademiker, zu teure Lehrer, zu geringe Schichtdurchlässigkeit. Der Versuch einer Differenzierung.

Auf 728 Seiten vergleicht die OECD die Bildungssysteme von Industrieländern. Dabei treten teils exorbitante Unterschiede zu Tage.

Russland: Bildungsaufstieg höher

So stimmt es bedenklich, dass in Russland, Korea und Finnland knapp 60% der 26-64-jährigen einen höheren Bildungsabschluss schaffen als ihre Eltern – in Österreich aber nur die Hälfte. Tatsächlich haben besagte Länder in den letzten 20 Jahren für ihre 15–19 Jährige aber einfach nur Ausbildungsschienen geschaffen, die großzügig akademische Titel verteilen.
Wer Mechaniker oder Krankenschwester wird, tut dies auf einem College – und ist dann Akademiker. So ist die Quote in Russland schon auf 53%, in Korea auf 41% und in Finnland auf 38% angestiegen. In Titel-knausrigen Ländern wie Deutschland stagniert die Akademikerquote bei 26%, in Österreich bei 20%.

Bildungsaufstieg von niedrigem Niveau aus

Die Aufstiegsdurchlässigkeit dieser Länder ist nicht nur aufgrund der „Tertiärisierung“ höher als in Österreich, Deutschland oder den USA. Nationen wie Russland begannen ihren wirtschaftlichen Aufholprozess erst vor 15 Jahren, und auch in Korea war die verarmte Elterngeneration wesentlich schlechter gebildet als die heutige – der Aufstieg erfolgte also von einem geringeren Level.
In 10, 20 Jahren wird die Aufstiegswahrscheinlichkeit dieser heute „jungen Bildungssysteme“ ebenfalls stagnieren.

Gute Nachricht: Aufstieg erblich

Tatsächlich vererben sich die Bildungschancen hierzulande stark. Und das ist eigentlich ein gutes Zeichen. Denn es deutet auf lange Perioden von Frieden und Wohlstand hin. So war der Großvater nach dem Krieg stolz, eine Lehre absolvieren zu können. Dessen Sohn machte dann in den 1960ern Matura und wiederum dessen Tochter wurde in den 1990ern Akademikerin.
Die Erblichkeit von Talenten ist hoch (zwischen 50 und 80%). Und jedes Kind, das bildungsmäßig aufgestiegen ist, fehlt nun in der Unterschicht. Übrig bleibt in einer Gesellschaft, die – auch dank eines gemeinsamen Europas – schon seit drei Generationen keinen Krieg mehr gesehen hat, eine „intellektuell ausgedünnte Unterschicht“.
Die Gesellschaft war – trotz vieler Unkenrufe – eben doch durchlässig: Die Talentierten sind aufgestiegen, der Talente-Pool ist nun (fast) ausgeschöpft.

Akademikerquote manipuliert

Regelmäßig mahnt die OECD Österreich ob dessen niedriger Akademikerquote von 20%. In Finnland wäre diese doppelt, in Russland fast dreimal so hoch. Das Geheimnis: Statt zu studieren, absolvieren viele Alpenländer berufsbildende Schulen wie HAK oder HTL. Schultypen, die  man international nicht kennt und dessen Inhalte man üblicherweise an Unis studiert.

Künftig wird Österreich beim Krieg der Statistiken mitmischen: HAKs und HTLs werden als akademische Ausbildungen eingestuft – das Land wird mit einem Schlag um 10%-Punkte mehr Akademiker haben. Und „schwup-di-wup“ wird auch der Bildungsaufstieg wieder klappen.

Bedeutet Akademisierung Jugendarbeitslosigkeit?

Dass ein Bildungssystem mit akademischen Handwerkern nicht unbedingt erfolgreicher sein muss, zeigt sich bei der Jugendarbeitslosigkeit: Diese liegt in Österreich bei 8%, in Russland bei 16% und beim Bildungsmusterknaben Finnland gar bei 25%.
Obwohl der internationale Trend zur „Akademisierung um jeden Preis“ weitergeht, ist dem österreichischen System der dualen Ausbildung der Vorrang einzuräumen. Es ist effizienter, denn mit 17 Jahren ist man ausgelernt und „marktfähig“. Und es sichert eine hohe (Jugend-)Beschäftigung, eine starke Industrie und hohen Wohlstand.

Länger lernen

Wo Österreich tatsächlich schlechter als der OECD-Schnitt liegt, ist die Beschäftigung von Jugendlichen. 13% sind arbeitslos oder machen keine Ausbildung. In Polen und Deutschland liegen die Werte um die 5%, in Finnland bei 8%. Es sagt aber wahrscheinlich mehr über das Frisieren von Arbeitslosenstatistiken dort aus als über dramatische Entwicklungen hierzulande.

Österreich forschungsunfähig

Die Jammerintensität heimischer Uni-Professoren steht im umgekehrten Verhältnis zum Erfolg des von ihnen verteidigten Systems.  Österreich gibt nur 1,5% seines BIPs für den Tertiären Sektor aus – in den USA oder Korea ist es fast doppelt so viel, nämlich 2,7%. Dabei kostet es Amerikaner und Koreaner nur 0,9%. Der Rest kommt von Studiengebühren, Privatuniversitäten und einer wirtschaftsnahen Forschungspraxis.

Österreichs Lehrer kosten viel

Die OECD bemängelt Österreichs hohe Staatsausgaben pro Schüler. So einer kostet die öffentliche Hand hier 11.700 Dollar im Jahr. Zwar sind es in Amerika fast 13.000 Dollar, in Holland aber nur 10.000 und in Brasilien gar nur 2.500 Dollar. Man ahnt: Das hat vor allem mit dem lokalen Preis- und Lohnniveau zu tun.

Außerdem sind in Österreichs Bildungsausgaben auch die Pensionskosten mit eingerechnet – ein AHS-Professor kann auch heute noch mit 4.500 Euro Pension rechnen. Konzernlenker, Forschungsleiter und Architekten müssen mit der Hälfte rechnen.
Dass die aktiven Lehrergehälter laut OECD in Österreich aber nur 60% von dem erreichen, was diese alternativ in der Privatwirtschaft erzielt hätten, ist anzuzweifeln: Das würde bedeuten, dass ein 45-jähriger Geschichte- oder Turnlehrer mit einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro in der Privatwirtschaft 100.000 Euro verdient hätte.

Tatsächlich stehen Lehrer hierzulande aber weniger Stunden in der Klasse als in anderen Ländern. Ein österreichisches Volksschulkind kann insgesamt 2.700 Stunden Unterricht konsumieren. In Finnland und Korea sind es 3.600 Stunden, in den USA und Israel sogar mehr als doppelt so viel (5.800).

Reports wie diese verlassen immer häufiger die Amtsstuben der OECD-Statistiker. Sie konzentrieren sich auf das induktive Aneinanderreihen formeller Daten – ohne sie inhaltlich zu hinterfragen oder gar aufzubereiten. Sie können verwendet werden, um ein Land gut darzustellen (was in den Medien eher selten vorkommt) – oder eben schlecht. Damit werden sie aber irgendwann entbehrlich.

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