Dienstag, 16. April 2024
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Parlamentsumbau als politisches Symptom: „Wegen Renovierung geschlossen“

Die letzte Sitzung im österreichischen Parlament, bei der offiziell der Beschluss von vorzeitigen Neuwahlen gefasst wurde, markiert eine politische Zäsur. Der Alpenrepublik steht ein Wandel in Bezug auf die politische Arbeit, das Verhältnis zwischen den Parteien sowie den tragenden Institutionen bevor.

Nun ist es fix. Die 25ste Legislaturperiode des österreichischen Parlaments in der Geschichte der Zweiten Republik ist zu Ende und am 15. Oktober wird ein neuer Nationalrat gewählt. Diesen Beschluss haben am Donnerstag 181 von 183 Abgeordneten gefasst und nun wird dieser noch vom Ministerrat abgesegnet, damit alle Vorbereitungen für den herbstlichen Wahlgang getroffen werden können.

Geht es nach den aktuellen Umfragen und diese sind mittlerweile recht stabil geworden, dann steht nicht nur ein spannender und harter Wahlkampf bevor sondern auch eine politische Zäsur ins Haus. Das Lager der Mitte-Rechts und Rechts-Parteien hält bei ca. 60 Prozent, jenes der Mitte-Links- und Linksparteien eben bei ca. 40 Prozent. Zudem könnte es mit dem Spitzenkandidaten der neuen Volkspartei, Sebastian Kurz, zu einer Auflösung alter Parteibindungen kommen, zumal in der Bevölkerung der Wunsch nach Veränderung und Aufbruch herrscht.

Parlamentsumbau charakteristisch für politische Stimmung

Der letzte Parlamentstag war nicht nur von einer Wahlkampfstimmung geprägt, zumal jede Partei noch eine Bilanz der letzten 4 Jahren der Regierungsarbeit ziehen und sich dabei selbst in ein möglichst gutes Licht rücken wollte. Es herrschte auch eine besonderes Art von Nostalgie. Für gut drei Jahre wird nämlich nun das im Dezember 1883 erbaute Parlament zur Baustelle. Die 183 Angeordneten und ihre Mitarbeiter müssen daher in die nahe Hofburg übersiedeln. Die Renovierung war bitter notwendig geworden. Der im Zweiten Weltkrieg zerbombte Plenarsaal war im Juni 1956 wieder eröffnet worden, mittlerweile aber ziemlich ramponiert und technisch total veraltet. Nach 2.431 Sitzungen im so genannten Hohen Haus geben nun die Handwerker den Ton an.

Der notwendig gewordene Umbau ist aber symptomatisch für die politische Stimmungslage in Österreich. Durch viele Jahrzehnte war die Koalition der christlich-demokratischen ÖVP mit der sozialdemokratischen SPÖ, das tragende Element. Sozialer Friede und kein überhitztes aber dafür kontinuierliches Wirtschaftswachstum wurden zum Charakteristikum des Landes in den letzten 72 Jahren. Und selbst in den 4 Jahren einer ÖVP-, den 13 Jahren einer SPÖ-Alleinregierung und insgesamt 9 Jahren einer Regierungskoalition mit der FPÖ, ging das Land zügig seinen Weg weiter. Nicht zuletzt, weil die Sozialpartnerschaft ihr sorgsames Auge über alles hatte, was so geschah. 

Nur noch 35 Prozent für Große Koaltion

Es herrscht Reformbedarf in der Alpenrepublik. Das beginnt bereits damit, dass ein Kurswechsel, eine dynamische Regierungsarbeit ganz oben in der Wunschliste steht. Das betrifft auch die einstmals so gelobte Sozialpartnerschaft, die in die sprichwörtlichen Wechseljahre geraten ist. Präferierte noch vor den letzten Nationalratswahlen 2013 eine Mehrheit von mehr als 50 Prozent der Bevölkerung die Bildung einer „Großen Koalition“ (damit war das Bündnis von SPÖ und ÖVP gemeint) so waren es im Mai dieses Jahres nur noch 35 Prozent. Obwohl die Regierung zuletzt unter der Führung von Bundeskanzler Christian Kern stehend, eine Fülle von Gesetzen verabschiedet hatte, wurde von einem „Reformstau“ gesprochen. Was wiederum damit zusammenhängt, dass bei vielen Gesetzesvorhaben letztlich immer wieder innerhalb der Regierung ein Kompromiss gesucht werden musste.

Tatsächlich war Österreich vom EU-Musterschüler (so in Bezug auf Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum) auf Mittelmaß abgerutscht, gleichzeitig aber zum Hochsteuerland emporgeklettert, weil man nicht entschlossen und vorausschauend genug politisch agierte. Dazu kam, dass die Chemie zwischen Rot und Schwarz in der Regierung zu wünschen übrig ließ. 

Flüchtlingspolitik hat unverändert Schlüsselrolle

Das zeigte sich vor allem in der Flüchtlingspolitik. Die Uneinigkeit zwischen SPÖ und ÖVP führte vor allem ab den Jahren 2014/2015, als der große Flüchtlingsstrom über Europa hereinbrach, zu einer innenpolitischen Eruption. Die rechtspopulistische FPÖ katapultierte sich auf den 1. Platz und ließ mit 32 Prozent der Stimmen in den Umfragen SPÖ und ÖVP weit hinter sich. Erst die restriktive Politik zunächst von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und dann ihrem Nachfolger Wolfgang Sobotka brachte den Stimmungsumschwung. Eine Politik, die die SPÖ aufgrund interner Spannungen zwischen dem linken und pragmatischen Flügel, nicht voll mittragen konnte und dafür auch vom Wähler in den Umfragen die Rechnung serviert bekam. Der Flüchtlingspolitik kommt seit bereits zwei Jahren eine Schlüsselrolle zu und daran wird sich trotz der Versuche, Sozial- und Wirtschaftsthemen zu forcieren, wohl kaum etwas ändern. Zu sehr ist die Frage nach der Aufnahmekapazität der Gesellschaft, einer Öffnung Europas zu anderen Ethnien, Religionen und Kulturen beherrschendes Thema in weiten Kreisen der Bevölkerung. 

Alles konzentriert sich auf Kurz

Dass es schließlich im letzten Halbjahr zu einem regelrechten Umsturz im Stimmungsbild kam ist darauf zurückzuführen, dass der in der zweiten Reihe stehende erst 31-jährige Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz in die erste Reihe vorstieß und mittlerweile als Hoffnungsträger für eine Bewegung gilt, die über die Stammwählerschicht der ÖVP hinausreicht.

Das zeigen auch die aktuellen Umfragen jetzt am Ende der Legislaturperiode, mit der der Wahlkampf gewissermaßen offiziell eröffnet wurde. Genau genommen ist es ein Dreikampf an der Spitze. Wenngleich die verschiedenen Umfragen der diversen Institute oft deutlich auseinanderliegen und den Verdacht hochkommen lassen, dass damit Interessen der Auftraggeber befriedigt werden sollen, so ist der allgemeine Trend derzeit ziemlich klar. Gefestigt hat sich die Volkspartei mit Kurz, die bei stabilen 32 Prozent liegt. Am 2. und 3.  Platz liegen die SPÖ mit 28 und die FPÖ mit 26 Prozent. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Meinung der Politologen, dass sich zwar das Hauptaugenmerk der politischen Gegner auf Kurz richtet, man darauf geradezu lauert, dass er einen Fehler macht, tatsächlich aber bei ihm sogar noch Mobilisierungspotential besteht.

Fragezeichen bei Grünen und NEOS

Etwas spannend könnte es noch werden durch die Entwicklungen, die gerade bei den Grünen und den NEOS stattfinden. Sollte der Grüne Langzeitpolitiker Peter Pilz tatsächlich mit einer eigenen Liste kandidieren, und danach sieht es immer mehr aus, dann ist damit die Spaltung besiegelt. Die Prognosen sind ziemlich eindeutig. Die alten Grünen müssen damit rechnen, von den derzeit ohnedies recht mageren 9 auf wahrscheinlich 6 Prozent abzusacken. Pilz selbst dürfte auf etwa 5 Prozent kommen. Das Grünlager wird zwar gesamthaft auf etwa 13 Prozent geschätzt, der Richtungsstreit bei den Grünen könnte aber dazu führen, dass sich bürgerliche Grünwähler total verabschieden. Eine Kandidatur von Pilz – der in seiner Jugend als ein revolutionärer Linker galt – birgt vor allem die Gefahr für die SPÖ in sich, dass er zu einer wählbaren Alternative für linke Sozialisten wird, denen der derzeitige Kern-Kurs so gar nicht passt.

Auf Aufwind hoffen die NEOS, denen bereits die Gefahr drohte auf unter 4 Prozent zu fallen und damit den Einzug ins Parlament zu verpassen. Sie schlossen daher ein Bündnis mit der im vergangenen Jahr im ersten Wahlgang unterlegenen 71-jährigen Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss in der Hoffnung, dass sie einige der bürgerlichen Stimmen aus dem vergangenen Jahr an sich und die NEOS ziehen könnte. Das könnte allerdings nicht nur zu Lasten der ÖVP, sondern auch der FPÖ, ja sogar der SPÖ gehen, indem liberal gesinnte Wähler angesprochen werden. Ihre ersten öffentlichen Auftritte machten allerdings begreiflich, warum ihre TV-Talkshow auf Puls 4 wieder vom Programm abgesetzt wurde. Sie laviert zwischen den Fronten, wettert gegen Populismus, setzt aber selbst nur auf Stimmenfang, indem sie Nischenpositionen vertritt. Von der Homo-Ehe bis zur Willkommenskultur. Ein Kommentar auf Face-Book deutet bereits auf die Gefahr hin, die ihrer Kampagne droht: „Kein Griss um die Griss“  

Die 3-er Koalition ist weg vom Fenster

Wie es derzeit aussieht, wird die Frage einer Regierungsbildung nur zwischen den drei Parteien ÖVP, SPÖ und FPÖ entscheiden. Die NEOS würden an sich gerne mitregieren, haben sich aber die Türe zur FPÖ bereits versperrt. Gehört doch deren Hintermann Hans Peter Haselsteiner zu einer gerade erst gegründeten Plattform (gemeinsam mit Sozialdemokraten), die eine Regierungsbildung mit der FPÖ ausschließen. Bedingt durch die Spaltung der Grünen in zwei bald feindlich gesinnte Flügel fällt aber deren einziger möglicher Koalitionspartner aus. Damit aber verlieren Matthias Strolz und Irmgard Griss eine ganz entscheidende Option bei den Wählern.

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