Dienstag, 19. März 2024
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Nach Faymann: Wer traut sich – und warum?

Das hat keiner erwartet, aber es war selbst für einen Politiker, der wie Mister Loctite an seinem Sessel zu kleben schien, einfach zu viel: Nach exakt 18 verlorenen Wahlen warf der Bundeskanzler am Montag zur allgemeinen Überraschung das Handtuch – wofür er  übrigens uneingeschränkt  Respekt verdient.

Werner Faymann wirkte zuletzt, als er sich nur mühsam im Sattel halten konnte, angeschlagen und ratlos wie Don Quixote, der Mann von La Mancha. Sein Sancho Panza alias Josef Ostermayer stand ihm zwar bis zuletzt treu zur Seite, doch andere hatten ihn längst fallen gelassen. Der Kanzler, der schon öfters gegen Windmühlen zu kämpfen hatte, musste einsehen, dass ihn immer mehr Partei„freunde“ immer weniger wollten. Ihres Erachtens war er nicht der dynamische Regierungschef, den sie sich so sehr wünschten. Ohne Rückendeckung blieb dem roten Ritter von der traurigen Gestalt schließlich keine andere Wahl, als den unmöglichen Traum zu vergessen, im Amt bleiben zu dürfen.

Faymann hat sein persönliches Dilemma zwar beendet,  doch seiner gespaltenen Partei ein riesiges Ei gelegt. Jetzt muss die SPÖ nämlich innerhalb einer Woche einen vermeintlichen Wunderwuzzi aus dem Hut zaubern, der den verfahrenen Karren wieder halbwegs flott machen soll. Das wird wohl kaum SP-Klubobmann Andreas Schieder oder der neue Heeres- und Sportminister Hans Peter Doskozil und schon gar nicht Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser sein – dieses Trio wird zwar gerüchteweise auch genannt, hat allerdings bloß Außenseiter-Chancen. Aus heutiger Sicht zeichnet sich ein Duell zwischen zwei so genannten Quereinsteigern ab: zum einen geht es um Christian Kern, der seine Karriere 1994 als Büroleiter und Pressesprecher des damaligen  SPÖ-Klubobmannes Peter Kostelka begonnen hatte und es  bis zum  amtierenden Generaldirektor der ÖBB brachte. Und zum anderen ist Gerhard Zeiler im Spiel, einstmals Pressesprecher und Aktenkofferträger von Fred Sinowatz, der  im genannten Jahr  ORF-Generalintendant wurde und in der Folge als internationaler Medienmanager beträchtliche Erfolge feiern konnte. Der 50-jährige Kern und der 61-jährige Zeiler sind schon länger als potenzielle Faymann-Nachfolger im Gespräch, weil ihnen vor allem zwei Dinge zugetraut werden: erstens der sozialdemokratischen Partei ein frisches Image zu verpassen und sie aus der derzeitigen Schockstarre zu holen; und zweitens der Regierungsarbeit dank ihrer Managementqualitäten neuen Schwung zu verleihen und den vielkritisierten Stillstand zu beenden.

Quereinsteiger sind jedenfalls für die heimische Politik nichts Neues: sobald eine Partei in höchster Not nicht weiter wusste und einen Neustart plante, schlug ihre Stunde. Das war bei der Volkspartei so, als sie 1975 nach dem Unfalltod von Karl Schleinzer Josef Taus, Generaldirektor der seinerzeitigen Girozentrale, mangels personeller Alternativen zum Bundesparteiobmann krönte. Und das war bei der SPÖ der Fall, als Franz Vranitzky, früher Generaldirektor der Länderbank, nach dem Abgang von Kanzler Fred Sinowatz als Troubleshooter einspringen musste. Die Roten haben obendrein etwa den Steuerberater Andreas Staribacher zum Finanzminister gemacht, um ihn keine zwei Jahre danach durch den OMV-Vorstand Viktor Klima zu ersetzen. Als dieser 1997 Kanzler wurde, rückte sein Nachfolger beim Ölkonzern, Wolfgang Ruttenstorfer, als Staatssekretär ins Finanzministerium nach. Fazit? Mit Ausnahme von Vranitzky, der in seinen elf Jahren am Ballhausplatz eine gute Figur gemacht hat, konnten sich die Leiharbeiter aus der Wirtschaft in der Politik allesamt nicht wirklich mit Ruhm bekleckern – im Gegenteil: bisweilen haben sie sogar ziemlich dilettantisch agiert.

Was ist die Kern-Botschaft?

Womit wir bei den zentralen Fragen angelangt wären: was soll, muss und darf  die SPÖ von ihrem nächsten Spitzenmann erwarten? Und was hat der siegreiche Kandidat eigentlich zu erhoffen bzw. zu befürchten? Zunächst einmal geht es den Sozialdemokraten darum, dass sie mit einem neuen, unverbrauchten Gesicht, das ausnahmsweise keinem roten Apparatschik gehört, sondern einem erfolgreichen Manager, einen grundlegenden Wandel signalisieren. Ein Parteiboss, der fraglos ein Macher ist, über  Führungsqualitäten verfügt, Probleme lösen und Reformen durch- sowie umsetzen kann, wäre weiters eine erfreuliche Novität für das Land. Und wenn er obendrein die verkrusteten Strukturen der sozialdemokratischen Partei aufbrechen, ihr verstaubtes programmatisches Konzept modernisieren und nicht zuletzt die zerstrittenen innerparteilichen Lager wieder einigen könnte, würde das einer Heldentat gleichkommen.

Christian Kern, der im Moment als Top-Favorit gehandelt wird, hat in sechs Jahren ÖBB bewiesen, dass er mit seiner Dynamik etwas weiterbringen kann. Er ist – auch in politischer Hinsicht – bestens vernetzt, als smarter, sympathischer Typ medial ziemlich gut „verkaufbar“ und obendrein offenbar ebenso eitel wie ehrgeizig. Das könnte letztlich seine Motivation sein, den weit besser dotierten Vorstandsjob gegen die gewiss stressigere und weitaus riskantere Position im Kanzleramt einzutauschen. Auch für Gerhard Zeiler, der sich nach neun Jahren als CEO der RTL Group und seit April 2012 in London amtierender Präsident von Turner Broadcasting eigentlich nichts mehr beweisen müsste, scheint es eine Challenge zu sein, seine Karriere als rot-weiß-roter Regierungschef zu krönen – sonst hätte er sich nicht schon vor mehr als einem Jahr in Interviews bereit erklärt, im Falle des Falles zur Verfügung zu stehen. Kern hingegen, der sich bei entsprechenden Anfragen lieber selbst aus der Gerüchteküche nahm, will eher gebeten werden, jetzt für die Partei in die Bresche zu springen.

Obzwar rote Revoluzzer wie Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, Salzburgs SP-Chef Walter Steidl oder der steirische SP-Landesparteivorstand ausdrücklich den ÖBB-Boss favorisieren, bahnt sich in den Gremien eine innerparteiliche Zerreißprobe an, wer letztlich das Rennen machen und am 17. Mai als Faymann-Nachfolger präsentiert wird. Ob Kern oder Zeiler – eine Kern-Botschaft ist für den Sieger allemal von hoher Relevanz: die rot/schwarze Regierung, justament in der jetzigen, ziemlich verfahrenen Situation, als Regisseur zu übernehmen, wird ihm weitaus mehr abverlangen, als etwa die Bundesbahn oder einen internationalen TV-Sender wie CNN zu führen. Denn die Gesetze in der Wirtschaft, die über Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens entscheiden, sind völlig anders als die Gesetze in der Politik, wo unpopuläre Entscheidungen verpönt bzw. opportunistische Maßnahmen  gefragt sind.  Wer beispielsweise nicht weiß, dass parteipolitisches Hickhack im Kampf um Wählerstimmen alle Akteure oft endlos lähmt und zu erfolglosen Statisten degradiert,  der könnte sehr rasch scheitern. Wie schwierig die politischen Rahmenbedingungen für einen Newcomer sein können, erlebt derzeit etwa der erst im Jänner zum kroatischen Premierminister gekürte Ex-Pharmamanager Tihomir Orešković am eigenen Leib.

Ein Revirement ist zu wenig

Noch etwas ist problemlos zu prophezeien: eine neue Nummer Eins am Ballhausplatz, der die rot/schwarze Koalition weiterführt, würde  herzlich wenig ändern –  weder an der Misere der Sozialdemokratie noch an den Troubles der in Kernfragen beinahe untätigen Regierung.  Die SPÖ, die angeblich schon urlange an einem neuen Parteiprogramm bastelt, sollte – wenn sie sich wieder derrappeln möchte – schleunigst in wichtigen Fragen eindeutig Position beziehen, um nicht weiter an Boden zu verlieren. Und die Arbeit der Regierung müsste unter dem neuen Kanzler schleunigst intensiviert werden, sodass bald konkrete Taten sichtbar wären, was allerdings nur mit einem klaren Commitment der  Volkspartei denkbar ist. Der neue SP-Chef wird also extrem auf den Goodwill des nunmehr interimistisch amtierenden Kanzlers Reinhold Mitterlehner angewiesen sein, der sich freilich über seine eigene Zukunft Gedanken machen muss. Stimmt die Chemie zwischen den beiden, können sie loslegen; stimmt sie nicht, müsste man sich auf Neuwahlen gefasst machen, was jedoch aus heutiger Sicht nicht sehr wahrscheinlich klingt, weil das für SPÖ und ÖVP gleichsam russisches Roulette wäre. Falls sich der rote Quereinsteiger bei einem vorgezogenen Urnengang etwa im Herbst Siegeschancen ausrechnet, wäre das ebenso naiv, als würde der potentielle Kandidat der Schwarzen, Sebastian Kurz, damit spekulieren.

Das heißt also: der künftige Kanzler übernimmt, auch wenn er mit noch so großen Vorschusslorbeeren ausgestattet wird, eine Art Himmelfahrtskommando mit höchst ungewissem Ausgang. Womöglich muss er sich in absehbarer Zeit, spätestens im Jahr 2018,   mit der Vize-Rolle hinter Heinz-Christian Strache begnügen – oder  aber  in Opposition gehen, was sicher nicht sein Wunschtraum wäre. Werner Faymann hingegen kann sich nach seinem abrupten Abflug wieder allmählich entspannen, weil er das bereits erlebt hat, was auch seinem Nachfolger irgendwann blühen könnte. Als dem nach Angela Merkel dienstältesten Regierungschef der EU-Länder bleibt ihm wenigstens die Hoffnung, dass demnächst in Brüssel ein Platz für ihn frei wird – beispielsweise als Ratspräsident…
 

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