Dienstag, 19. März 2024
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Molterer: „Wollen ein investitionsfreundliches Umfeld in Europa schaffen“

Der frühere ÖVP-Obmann und Vizekanzler Wilhelm Molterer hat heuer einen Karrieresprung geschafft: Im Interview mit der EU-Infothek erklärt der frischgebackene Chef des neuen europäischen Investitionsfonds EFSI (Fonds für Strategische Investitionen), wie Brüssel die lahmende Wirtschaft in Europa ankurbeln will.

Welchen Beitrag kann der EU-Investitionsfonds dazu leisten, die Wirtschaft in Europa anzukurbeln und die hohe Arbeitslosigkeit in einigen Ländern abzubauen?

Zunächst einmal ist der „Europäische Fonds für Strategische Investitionen“, kurz EFSI, kein eigenständiger Fonds, der über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. Es handelt sich bei EFSI vielmehr um einen Garantiemechanismus, der die Europäische Investitionsbank (EIB) und deren Tochter, den Europäischen Investitionsfonds (EIF), in die Lage versetzt, in Projekten mehr Risiken zu übernehmen, etwa im Bereich der Pharmaforschung.
EIB und EIF setzen damit im aktuellen Marktumfeld einen Anreiz, um private Investoren für die Projekte zu mobilisieren. Das ist nötig, da wir es aktuell mit einem besonderen Marktversagen zu tun haben. Trotz niedriger Zinsen und reichlich vorhandener Liquidität sind einige Unternehmen nicht in der Lage, die Risiken dieser Investitionen alleine abzudecken, weil ihre Risikotragfähigkeit sowie die des Bankensektors als Folge der Krise beeinträchtigt ist. Deshalb ist hier die EIB-Gruppe Bank als öffentliche Einrichtung gefordert. Wir verdrängen privates Kapital nicht, sondern wir schlagen im Gegenteil die Brücke, dass private Investoren in die Projekte einsteigen.

Welche Kriterien müssen Projekte erfüllen, um gefördert zu werden?

Projekte, die mit EFSI-Garantien abgesichert werden, müssen wirtschaftlich tragfähig sowie nachhaltig sein, und sie müssen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft insgesamt erhöhen. Dabei handelt es sich um Projekte, die aus vier Bereichen stammen: Erstens Strategische Infrastruktur, einschließlich Projekte aus den Bereichen Digital, Verkehr und Energie, zweitens der Ausbau erneuerbarer Energien sowie Projekte zur Steigerung der Energieeffizienz und drittens Projekte für Ausbildung, Forschung, Entwicklung und Innovation. Außerdem unterstützen wir gezielt kleine und mittlere Betriebe, da diese in vielen Fällen mit Problemen beim Kapitalzugang zu kämpfen haben.

Gibt es für die Finanzierung durch den EFSI Unter- bzw. Obergrenzen?

Das Grundprinzip der EIB ist es, Projekte stets mit weiteren Investoren durchzuführen. Die EU-Bank finanziert nie ein Projekt im Alleingang. Das gilt für das traditionelle Geschäft ebenso wie für Projekte, die mit EFSI-Garantien abgesichert werden. In welchem Umfang und mit welchem Finanzierungsinstrument sich die Bank engagiert, hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter auch das Risikoprofil des individuellen Projekts, und wird darauf abgestimmt.

Laut dem ursprünglichen Plan soll die Kapitalausstattung 21 Mrd. Euro betragen und durch die Beteiligung privater Investoren ein Volumen von 315 Mrd. Euro erreicht werden. Ist das realistisch?

EFSI setzt sich zusammen aus 16 Mrd. Euro Garantien, die aus dem EU-Haushalt stammen, sowie 5 Mrd. Euro, die aus Reserven der EIB in EFSI eingebracht wurden. Der Garantiemechanismus ermöglicht es der EIB-Gruppe, etwa 60 Mrd. Euro an zusätzlichen Finanzierungen bereitzustellen, mit denen über einen Zeitraum von drei Jahren Gesamtinvestitionen von 315 Mrd. Euro in Europa angeschoben werden. Der Hebel von 15 ist eine eher konservative Schätzung. Er basiert auf Erfahrungswerten, die EIB und EIF für die verschiedenen Finanzierungsinstrumente besitzen, wie nachrangige Kredite, die teilweise Absicherung von Verlusten, Garantien oder die Bereitstellung von Eigenkapital.
Im Übrigen hat die EIB bei der letzten Kapitalerhöhung bewiesen, bei der die Mitgliedstaaten zehn Mrd. Euro in bar eingezahlt haben, dass sie mit Hilfe der gestärkten Kapitalbasis zusätzliche Investitionen von 180 Mrd. Euro in einem Zeitraum von nicht einmal zweieinhalb Jahren mobilisiert hat. Das entspricht einem Hebel von 1:18.

Hat Österreich bereits Projekte eingereicht und wenn ja, welche?

Ja, es gibt ein Projekt im Gesundheitswesen, das mit EFSI-Garantien abgesichert ist, und das, wie eine ganze Reihe weiterer Projekte, von der Bank auf eigene Rechnung vorfinanziert wird. Insgesamt haben wir seit April über die EU-Bank rund 40 Projekte auf den Weg gebracht, mit einem Gesamtinvestitionsvolumen im zweistelligen Milliardenbereich. Das kann sich sehen lassen, vor allem, wenn man bedenkt, dass EFSI erst mit Jahresbeginn 2016 voll funktionsfähig ist. Aber wir wollten der Wirtschaft und den Bürgern beweisen, dass wir es mit dem Investitionsplan für Europa ernst meinen. Deshalb sind wir bei EFSI-gestützten Finanzierungen in Vorleistung getreten.

Alle Projekte durchlaufen strikte Due-Dilligence-Prüfung

Werden Projekte aus Ländern, die wirtschaftlich hinterherhinken wie etwa Griechenland, besonders berücksichtigt?

Die EIB arbeitet prinzipiell nicht mit vorgeschriebenen Quoten, weder für einzelne Länder noch für bestimmte Sektoren. Wenn man sich allerdings das Finanzierungsengagement der EU-Bank pro Kopf ansieht, dann kann man schon erkennen, dass sie ihrer gesamteuropäischen Verantwortung nachkommt, und in einzelnen Staaten stärker engagiert ist, wie zum Beispiel in Griechenland, in Spanien oder in Irland. Entscheidend für eine Finanzierung ist jedoch, dass ein Projekt wirtschaftlich tragfähig und nachhaltig ist, und das gilt für Griechenland, Spanien und Irland genauso wie für Deutschland, Schweden und Österreich. Alle EIB-Projekte, solche im traditionellen Geschäft, aber auch solche, die über EFSI abgesichert sind, durchlaufen eine strikte Due-Diligence-Prüfung, bevor die Finanzierung genehmigt wird.

Auch die EIB fördert Infrastrukturprojekte. Gibt es Überschneidungen mit der Tätigkeit der EFSI, bei der sich ja lange Zeit Vizepräsident waren?

Mit EFSI erhält die EU-Bank ein weiteres Instrument an die Hand, Investitionen dort zielgenau zu unterstützen, wo sich Investoren und Unternehmen aufgrund der anhaltenden Risikoscheu zurückhalten. Das ist mit einem Geschäftsvolumen von etwa ein Drittel am Gesamtfinanzierungsaufkommen der EIB ein wichtiger Pfeiler unserer Aktivitäten zur Abmilderung von Europas Defiziten bei Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass die EIB sich auch an anderer Stelle einbringt, um Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu stärken. Wir bauen gerade unsere Beratungskapazität deutlich aus, die wir zusammen mit der EU-Kommission leisten, und zwar auf technischer wie finanzieller Seite für professionellere Projektstrukturierungen. Damit wollen wir Investoren und Unternehmen unterstützen, mit potenziellen Investitionsvorhaben effizienter voranzugehen.

Warum gibt es in Europa laut Experten eine derart große Investitionslücke, obwohl Kredite seit einiger Zeit extrem billig sind?

Das hat verschiedene Gründe, wie zum Beispiel die verschärfte Regulierung für die Banken oder das nach wie vor fragile Wirtschaftsumfeld, bei dem Unternehmen sich mit Investitionen zurückhalten, um nur einige zu nennen. Aber genau darauf reagieren wir ja mit dem „Investitionsplan für Europa“, oder dem „Juncker-Plan“, wie er in der Öffentlichkeit eher bekannt ist. Der Juncker-Plan hat drei Schwerpunkte, zwei davon habe ich bereits beschrieben: Mit EFSI werden Investitionen angeschoben, in dem die EIB-Gruppe dort risikoreichere Tranchen in Projekten übernimmt. Und zweitens helfen wir, mit unserem Beratungsservice Projektbetreibern und Investoren, die Vorhaben besser zu strukturieren.
Für mich von entscheidender Bedeutung ist allerdings der dritte Pfeiler des Juncker-Pakets, der in der öffentlichen Diskussion häufig vernachlässigt wird. Das ist die Schaffung eines investitionsfreundlicheren Umfelds in Europa. Wir müssen die regulatorischen und bürokratischen Hemmnisse beseitigen, die heute Investitionen bremsen oder gar verhindern. Nur dann schaffen wir es zu wirklichem Wachstum und dauerhaften Jobs.

Wird der Fortschritt bzw. die Wirksamkeit der beim EU-Investitionsfonds eingereichten Projekte kontrolliert?

Ja, alle Projekte unterliegen einer strikten und stetigen Kontrolle. Wir dürfen nicht vergessen, beim Gros der EFSI-Garantien handelt es sich um Garantien, die aus dem EU-Budget stammen. Schon allein deshalb sind wir zu einer intensiven Mitteilung über Fortschritte der Projekte an das Europa-Parlament und an die Mitgliedstaaten verpflichtet. Allerdings muss man an dieser Stelle hervorheben: Die EFSI-Garantien ermöglichen insgesamt einen wesentlich effizienteren Einsatz öffentlicher Gelder. Die Gelder werden nicht als einmalige Subvention verteilt, sondern sie erlauben es der EU-Bank, für die Umsetzung von Projekten ein Vielfaches dieser Summe an Krediten und Garantien zu vergeben, und dies nicht nur einmalig, sondern mehrfach, wenn Gelder aus Krediten zurückgezahlt und Garantien abgelaufen sind. Dazu kommt, dass die Empfänger mit den erhaltenen Geldern sorgfältiger umgehen, schließlich müssen sie sie zurückzahlen. Das ist ein Paradigmenwechsel in der Nutzung der EU-Ressourcen von erheblicher Tragweite.

Aktuell ist die EU vor allem mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise beschäftigt. Hemmt das die Bemühungen Brüssels, die Konjunktur anzukurbeln?

Wie sich der Flüchtlingsstrom auf die wirtschaftliche Entwicklung in Europa auswirken wird, dazu gibt es unterschiedliche Studien.  Ich glaube, dass es aktuell noch verfrüht ist, hier konkrete Szenarien zu entwerfen. Was ich allerdings für die EIB sagen kann, ist, dass wir bei Naturkatastrophen wie etwa dem Erdbeben in Italien in der Lage waren,  schnell und unbürokratisch zu helfen und rasch Kredite zu vergeben. Was bei einem solchen Unglück möglich ist, muss auch in einer humanitären Notlage möglich sein.  Die Aufgabe, Flüchtlinge aufzunehmen, bleibt derzeit bei den Bürgermeistern hängen. Sie müssen in die Lage versetzt werden, besser zu helfen. Das Geld ist bei den Kommunen so knapp, dass es notwendig ist, die Mittel, die die Europäische Kommission aus dem EU-Haushalt gewährt, mit unseren Krediten zu vervielfachen.

Fehlende europäische Geschlossenheit bei Flüchtlingskrise schürt Unsicherheit

Wie beurteilen sie die große Skepsis der Österreicher der EU gegenüber, während die Zustimmung zum Euro wieder steigt? Was müsste Brüssel tun, um wieder eine höhere Zustimmung zu bekommen?

Es ist gerade mal ein halbes Jahr her, da hat die Griechenland-Krise über Monate die Schlagzeilen beherrscht. Aber Europa hat sich am Ende zusammengerauft, und ein neues Hilfsprogramm für Athen auf den Weg gebracht. Wir haben gezeigt, dass Europa, auch wenn es schwierig ist, handlungsfähig ist und Kompromisse finden kann.  Diese europäische Geschlossenheit fehlt im Moment zur Bewältigung der Flüchtlingskrise, und das schürt Unsicherheit in der Bevölkerung.

Im Zuge der Flüchtlingskrise bauen einige Länder Zäune und an manchen Grenzen wird wieder kontrolliert. Täuscht der Eindruck, dass Europa eher auseinanderdriftet weiter zusammenzuwachsen?

Im Moment stehen viele Fragen im Raum. Fragen, auf die es momentan noch keine Antworten gibt, die aber dringend einer Beantwortung bedürfen. Auch wenn es inzwischen schon so oft gesagt wurde, dass es fast als Allgemeinplatz erscheint: Die Aussage bleibt richtig, dass wir zu aller erst die Ursachen von Migration und Flucht beseitigen oder zumindest abmildern müssen. Dort, wo es möglich ist, müssen die Menschen eine Perspektive bekommen, dass sich die Lebensbedingungen verbessen. Wir müssen den Menschen – in ihrem eigenen Interesse – den Anreiz nehmen, ihre Heimat zu verlassen.
Wir als EU Bank haben stets bekräftigt, dass wir gemäß unserem Auftrag bereit sind, unsere bisherige Unterstützung besonders außerhalb der EU weiter auszubauen. Wir haben die Möglichkeit und die Instrumente, die knappen öffentlichen Mittel in ihrer Wirkung zu maximieren und diese zum Bau von Unterkünften, Krankenhäusern und Schulen einzusetzen.

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