Freitag, 19. April 2024
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Fall Firtash: Ein Urteil gegen die US-Justiz

Die Entscheidung, die Richter Christoph Bauer am Wiener Straflandesgericht traf, ist goldrichtig: Der ukrainische Oligarch Dmitri Firtash wird nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert. Gottlob hat die österreichische Justiz damit den Beweis geliefert, dass sie nicht automatisch nach der Pfeife der Amerikaner tanzt.

Die dortigen Behörden verfolgen den Ukrainer bereits seit Jahren und werfen ihm – ohne handfeste Argumente zu liefern – vor, in Indien bei einem Titan-Projekt, aus dem übrigens niemals etwas geworden ist, Bestechungsgelder gezahlt zu haben. Die Frage, die viele österreichische Bürger beschäftigt hat – was geht es die US-Justiz an, was ein ukrainischer Geschäftsmann in Indien macht ? – ist damit beantwortet: gar nichts.

Firtash wurde bekanntlich im März 2014 in Wien auf Antrag des FBI in einer spektakulären Cobra-Aktion festgenommen und umgehend inhaftiert. Ein paar Tage später wurde er zwar dank einer Rekordkaution in Höhe von 125 Millionen Euro aus der Haft entlassen, musste aber seit damals in Österreich dunsten und um seine Zukunft zittern. Dass der 50-jährige Chairman der Group DF, die damals noch 100.000 Beschäftigte hatte, mehr als ein Jahr lang nicht in seine Heimat reisen durfte, wo es drunter und drüber geht, wäre schlimm genug – doch dass er auf Grund der vagen Anschuldigungen seitens des Gerichts im Northern District of Illinois in dieser kritischen Phase sozusagen gänzlich aus dem Spiel genommen wurde, wirft eine Reihe von Fragen auf. Immerhin ist Dmitri Firtash nicht nur einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Ukraine, sondern auch Präsident der dortigen Federation of Employers of Ukraine (FEU), also der ukrainische Christoph Leitl. Im März 2013 lag er in einem vom Magazin „Korrrespondent“ veröffentlichten Ranking der mächtigsten Ukrainer auf Rang vier. Und im August des genannten Jahres wurde er von der ukrainischen Zeitschrift „Focus“ als viertreichster Mann des Landes eingestuft. Als Boss eines riesigen Konzerns, der u.a. in den Sparten Chemie, Titan, Medien und Immobilien tätig ist, zählte er seit Jahren nicht nur zu den reichsten, sondern naturgemäß auch den einfluss-reichsten Männern in der ehemaligen Sowjetrepublik.

Firtash, der den Aufstieg vom armen Schulbuben und kurzeitigem Feuerwehrmann zum mehrfachen Dollar-Milliardär geschafft hat, war niemals weit von den Schalthebeln der Macht entfernt. Er konnte schon die früheren Staatspräsidenten Leonid Kravchuk, Leonid Kutschma und Wiktor Juschtschenko, den seinerzeitigen Helden der „Orangenen Revolution“, als „Freunde“ bezeichnen und galt schließlich als enger Vertrauter und Ratgeber von Wiktor Janukowitsch. In einem Land, wo die Trennlinie zwischen Politik und dem so genannten „Bizness“ besonders dünn, bisweilen sogar unsichtbar ist, hat er beispielsweise Janukowitsch auch finanziell unterstützt, was übrigens nie ein besonderes Geheimnis gewesen ist. Er verhalf damals dem im Vorjahr nach Russland geflüchteten Ex-Präsidenten bei den Wahlen im Jahr 2010 zum Sieg über die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko – und handelte sich damit endgültig eine Art Todfeindin ein. Timoschenko, einstmals wie er im Gasgeschäft engagiert, konnte es nicht verwinden, dass Firtash ihr mit der gemeinsam mit der russischen Gazprom gegründeten, in der Schweiz registrierten Transithandelsfirma RosukrEnergo den Rang abgelaufen hatte. Sie verfolgte ihn daher mit aller Brutalität und schaffte es sogar, den erfolgreichen Gashändler zeitweilig aus dem Geschäft zu drängen. Der Konflikt war auch nicht beendet, als Timoschenko im August 2011 wegen Amtsmissbrauchs in Haft musste, denn während Firtash sein Imperium durch einige Deals zügig ausbauen konnte, buhlte seine angeblich gesundheitlich angeschlagene Rivalin mitleidsheischend um die Gunst westlicher Spitzenpolitiker. Nicht ohne Erfolg: Insbesonders in Washington genoss die ehemalige „Gasprinzessin“ viele Sympathien, weshalb sie auch nach ihrer Freilassung im Februar 2014 für die US-Granden als große politische Zukunftshoffnung galt. Sie hat sich ihre Chancen mit dem bekannt gewordenen Zitat, dass man Wladimir Putin, „diesem Bastard,  in die Stirn schießen“ sollte, freilich selbst vermasselt.

„Zwischen den Fronten“

Dmitri Firtash wiederum hatte sich vor den dramatischen Maidan-Ereignissen vom selbstherrlichen, autoritären Janukowitsch und dessen Clan, der sich auf sagenhafte Weise bereichert hat, losgesagt. Für diese Leute ist Korruption letztlich zur wichtigsten Lebensmaxime geworden. Die Amerikaner haben den Sturz Janukowitschs zwar durchaus genossen, doch Firtash blieb für sie auf der schwarzen Liste, weil sie ihn wegen seiner langjährigen Geschäftsbeziehungen mit Russland für einen Putin-Intimus hielten. Und nachdem der Kreml-Chef seit der Krim-Annexion in den USA endgültig zum Feindbild Nummer eins wurde, musste der Oligarch das in einer für die Ukraine hochdramatischen Phase büßen. Die politische Motivation beim Auslieferungsantrag ist jedenfalls für Richter Christoph Bauer unübersehbar gewesen.

Richter Christoph Bauer fand die Strategie des kongenialen Firtash-Anwaltteams unter Leitung von Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer und Mag. Rüdiger Schender (li) sehr überzeugendAm Straflandesgericht Wien hat sich beim zwölfstündigen Verhandlungsmarathon herauskristallisiert, das der ukrainische Geschäftsmann für das US-Justizministerium angesichts der Ukraine-Krise zur idealen Zielscheibe geworden ist. Bauer fand die Strategie des kongenialen Firtash-Anwaltteams unter Leitung von Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer sehr überzeugend. Er kam zur Ansicht, dass es gegolten hat, den Oligarchen kaltzustellen, um eigene Interessen durchzubringen. Jedenfalls haben die US-Behörden zum optimalen Zeitpunkt justament in Wien, wo man großen „Gehorsam“ erwartet hat,  zugeschlagen – und das Timing war schlichtweg perfekt: Obwohl der Haftbefehl samt Auslieferungsantrag bereits seit Juni 2013 vorgelegen ist, passierte Firtash bei fünf Wien-Aufenthalten nichts; erst im März vorigen Jahres wurde ihm die amerikanische Maschinerie aus Bespitzelungs- und Polizeiagenten endgültig zum Verhängnis. In einem „Krone“-Interview sagte Firtash damals: „Die Ukraine ist zweifellos zum Schlachtfeld der beiden globalen Supermächte – der USA und Russlands – geworden. Ich bin da zwischen die Fronten geraten“

Washington wollte offenbar vermeiden, dass der Ukrainer in dieser dramatischen Situation eine wichtige Rolle spielen konnte  um beispielsweise eigene personelle Wunsch-vorstellungen realisieren zu können: Zunächst stand für die USA, die sich schon immer liebend gerne in politische Konstellationen anderer Staaten einzumengen pflegen, die ukrainische Präsidentschaftswahl auf der Prioritätenliste ganz oben. Für dieses Amt standen neben der letztlich chancenlosen Julia Timoschenko auch der oligarchische Schokoladen-Hersteller Petro Poroschenko und der Ex-Boxchampion Vitali Klitschko bereit, auf den Firtash zunächst gesetzt hatte. Die beiden unterschiedlichen Kontrahenten trafen mit dem Oligarchen vor rund einem Jahr im Wiener Exil zusammen, und auf dessen Geheiß fiel die Entscheidung, dass sich nur Poroschenko der Wahl stellen, Klitschko jedoch nicht kandidieren sollte – um stattdessen Bürgermeister von Kiew zu werden. Poroschenko gewann letztlich klar und übernahm am 7. Juni das Amt –  zum Leidwesen der Amis deutete das auf den riesigen Einfluss Firtashs hin.

Krieg mit Kolomoyski

Beim zweiten Stichtag lief es dann schon eher nach dem Geschmack der Vereinigten Staaten: Der erst im Februar bestellte Übergangspremier Arsenij Jazenjuk, auf den die Obama-Administration stets gesetzt hat, konnte nämlich bei der Parlamentswahl im Oktober mit seiner erst kurz zuvor gegründeten Partei „Volksfront“ das Amt für sich retten. Der einstige Intimus Timoschenkos, der ebenfalls alles andere als ein Firtash-Vertrauter war und ist, bildete mit der Poroschenko-Partei und drei anderen Gruppierungen eine Koalitions-regierung. Und tobt sich seither in seiner gewohnt tolpatschig-aggressiven Manier aus: Jazenjuk, der erwiesener Maßen jahrelang vom US-Außenministerium finanziert wurde, profiliert sich – obwohl er selbst nicht zu den Armen im Lande zählt – als erklärter Widersacher der Oligarchen, den bislang heimlichen Herrschern in der Ukraine. Und ganz besonders hat er es auf den abwesenden Firtash abgesehen, wobei sich der kürzlich abgesetzte Gouverneur des Distrikts Dnepropetrowsk, der amerika-freundliche Oligarch Igor Kolomoyski, als kongenialer Partner erweist. Dieser ist – und jetzt schließt sich der Kreis – ein langjähriger Timoschenko-Unterstützer, unterhält eine Privatarmee, die für zahlreiche Grausamkeiten – etwa in Odessa – verantwortlich war, und zeigt Ambitionen, sich einige Firtash-Firmen einzuverleiben. „Firtash“, befand unlängst ein ukrainischer Experte in der deutschen „Welt“, „befindet sich im Krieg mit Kolomoyski“.

Jazenjuk hat der Group DF jedenfalls bereits schweren Schaden zugefügt: Nachdem Firtash monatelang aus der Ferne zur Kenntnis nehmen musste, dass seine Fabriken von militärischen Gefechten im Osten des Landes betroffen waren – eine Chemiefabrik etwa wurde mit Raketenwerfern beschossen – , musste er zum Beispiel erfahren, dass die Regierung seine Nadra-Bank in die Insolvenz geschickt hat und zwei seiner Titan-Werke verstaatlichen wolle. Auch seine Gasvertriebs-Company ist ihm schon entzogen worden. Firtash muss seither mit wüsten Gerüchten leben, die in seiner Heimat seit Monaten die Runde machen: So heißt es unter anderem, dass die ukrainische Regierung gemeinsam mit den USA die russische VSMPO.AVISMA samt deren Kooperationspartner Firtash ausschalten und das Geschäft mit Titan-Exporten so bald wie möglich an sich reißen möchte.

Das ist freilich nur eines von etlichen Indizien, dass es den Vereinigten Staaten in der Ukraine nicht bloß um politischen Einfluss und geopolitisches Gerangel geht, sondern mindestens genau so um handfeste wirtschaftliche Interessen. Von den zahlreichen Begehrlichkeiten, die seitens der USA in Richtung der rohstoffreichen Ukraine zu registrieren sind, ragt ein weiteres Projekt heraus, das seit geraumer Zeit international für gewaltiges Aufsehen sorgt: Die Burisma Holdings, das größte private Öl- und Gasexplorationsunternehmen des Landes, hat im Mai 2014 bekannt gegeben, dass die beiden US-Bürger R. Hunter Biden und Devon Archer in ihren Board of Directors einziehen. Who is who? Biden ist der Sohn des US-Vizepräsidenten Joe Biden. Archer wiederum war nicht nur ein einstiger Wahlhelfer von John Kerry, sondern teilt sich mit dessen Stiefsohn Christopher Heinz auch das Beratungsunternehmen Rosemond Seneca Partners. Dort fungiert wiederum Biden als Managing Director. Burisma wurde schon vor etlichen Jahren auf Zypern eingetragen und wird seit 2011 vom Oligarchen Igor Kolomoysky kontrolliert. Obzwar sich dieser gerne hinter in seinem Sold stehenden Strohmännern wie dem früheren Öl- und Ökologieminister und Rada-Abgeordneten Mykola Zlochevsky verschanzt, ist die kommerzielle Absicht ziemlich leicht durchschaubar: Das Unternehmen soll zu einer großen Nummer werden und alle übrigen Mitbewerber in den Schatten stellen. So etwa konnte im Dezember mit der staatlichen Öl- und Gasfirma in Kasachstan ein Joint Venture vereinbart werden, um mit US-Technologie und US-Dollars einen gemeinsamen Sprung vorwärts zu machen.

Die Amerikaner fokussieren ihre Interessen in der Ukraine – und das hat gar nichts mit Verschwörungstheorien made in Moskwa zu tun – bevorzugt auf den Energiesektor, den landwirtschaftlichen Bereich und eben Titan. Sie sind jedoch gemäß Spekulationen, die auf der Homepage //osadchuktoday.ru nachzulesen waren, nicht das einzige westliche Land, das sich in der Ukraine bedienen möchte. Die Deutschen – wird auf der genannten Site vermutet – hätten es speziell auf die Schwerindustrie, das Eisenbahnwesen und den Luftverkehr abgesehen. Die Niederlande wiederum würden gerne in der Chemischen Industrie, aber auch in der Gesundheitsvorsorge mitmischen. Und den Australiern werden schließlich Ambitionen nachgesagt, sich so rasch wie möglich in das ukrainische Banken- und Finanzwesen einzuschalten.

Titelbild: (c) www.DmitryFirtash.com

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