Freitag, 29. März 2024
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Europa – Tabuthema mit Sprengkraft

„Wir mögen nur eine kleine Insel sein, doch wir sind ein großartiges Land“ machte der britische Premierminister David Cameron den Delegierten zum Abschluss des diesjährigen Parteitags der Konservativen in Manchester Mut. Zum Thema Europa hatte der Regierungschef nur wenig und überdies nichts Neues zu sagen.

[[image1]]Stattdessen klopfte sich während seiner 50minütigen Rede einige Male selbst auf die Schulter: Ihm sei es gelungen, den EU-Haushalt zu kürzen und Großbritannien davor zu bewahren, an den Rettungspaketen für die EU-Krisenländer teilzunehmen. Damit habe seine Regierung sich Respekt verschafft und neue Verbündete gewonnen, um Kompetenzen von Brüssel in die Hauptstädte der Mitgliedsländer zurückzuholen. „Das werden wir tun und am Ende, ja, werden wir dem britischen Volk eine Wahl geben: bleiben oder gehen“, rief er aus.

Nostalgie für Maggie

Nachdem Europa monatelang die britischen Schlagzeilen bestimmt hatte, setzten die Tories nun lieber auf die Themen Wirtschaft und Reform des Wohlfahrtstaates. Zum Parteitagsmotto hatten sie „for hardworking people“ – in etwa: wir stehen auf der Seite der hart arbeitenden Bevölkerung – gewählt. Dazu gab es nostalgische Rückblicke auf die in diesem Jahr verstorbene Ex-Premierministerin Margaret Thatcher, die „unser Land großgemacht hat“, wie Cameron betonte. Dass die legendäre „Eiserne Lady“ mit ihrer harten Haltung zu Europa ihre eigene Partei spaltete kam selbstverständlich nicht zur Sprache. Dabei war es nicht zuletzt auf das zwiespältige Erbe Thatchers zurückzuführen,  dass die Labour-Partei drei Wahlen hintereinander gewann und von 1997 an 13 Jahre lang ununterbrochen regierte. Gestandene Tory-Politiker warnen daher auch heute noch vor der Sprengkraft der Europadebatte. Doch die ausgeklügelte Regie der Partei-Führung konnte trotzdem nicht verhindern, dass das Thema Europa auch in Manchester für reichlich Gesprächsstoff sorgte.

Applaus für UKIP-Chef Farage

Wichtigster Grund dafür war die Präsenz des Chefs der europakritischen Unabhängigkeitspartei UKIP, Nigel Farage, der zum ersten Mal am Rande eines Tory-Parteitags bei einer Veranstaltung der äußerst europakritischen „Bruges Group“ auftrat. Obwohl die sogenannten „Fringe Meetings“ die streng genommen nicht zur offiziellen Tagungsordnung gehören, normalerweise im Parteitagsprogramm zu finden sind, hatten die Veranstalter aus Sorge über die Wirkung des populären Farage bereits Zensur geübt und den Hinweis auf die Debatte der  „Bruges Group“ entfernt. Als der UKIP-Chef dann am Montag mit 15minütiger Verspätung umgeben von einem Tross von TV-Kameras dort erschien, begrüßte ihn tosender Applaus.

Ermutigt kanzelte Farage anschließend Bill Cash, das Urgestein der Euroskeptiker unter den Tories, ab: UKIP, nicht die rechten Tories hätten Cameron gezwungen, Anfang des Jahres ein EU-Referendum zu versprechen prahlte er. „Bill, Sie haben keinen Kontakt mehr zur Wirklichkeit!“, trumpfte er auf. Seit den Kommunalwahlen im Mai hat Farage Oberwasser, Sorge macht ihm allerdings, dass einige Mitglieder seiner Partei mit rassistischen Bemerkungen und abfälligen Äußerungen über Frauen unwillkommene Schlagzeilen machten. Dennoch hofft er, dass UKIP als stärkste Partei aus den Europawahlen im Mai 2014 hervorgehen könnte. Anders als bei den britischen Parlamentswahlen gilt dann das Verhältniswahlrecht, das kleineren Parteien hilft.

Im Hinblick auf die nächsten Parlamentswahlen im Mai 2015, bei denen dann wieder das in Großbritannien übliche Mehrheitswahlrecht zur Anwendung kommt, schlägt Farage den Tories einen Pakt vor: man könne sich entweder auf einen gemeinsamen euroskeptischen Kandidaten oder eine andere Form der Kooperation einigen, schrieb Farage in einem Artikel der Times.  Die bildete Farage wenige Tage später allerdings auf der Titelseite mit einem Porträtfoto ab, bei dem der Schatten eines Mikrophons ihm ein Hitlerbärtchen auf die Oberlippe projetzierte – eine sublime Warnung an die eigenen Leser.

Euroskeptische Botschaften

Die Tories denken angesichts der weit verbreiteten EU-Skepsis in Großbritannien auch nicht daran, Farage und der UKIP kampflos das Feld zu überlassen. So war es wohl kein Zufall, dass Cameron in einem Interview zum Auftakt des Parteitags ins Gespräch brachte, seine Regierung ziehe den Rückzug Großbritanniens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht. Eine solche Maßnahme wäre Teil einer radikalen Neuverhandlung der Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU, erklärte der Premier. Außerdem solle so auch sichergestellt werden, dass illegale Einwanderer und Kriminelle künftig leichter ausgewiesen werden können.

Innenministerin Theresa May, populäre Repräsentantin des europafeindlichen rechten Flügels, bestätigte später dieser Plan und kündigte an, dass Terrorverdächtige, illegale Einwanderer und Kriminelle künftig sofort deportiert werden sollen, noch bevor sie gegen ein Urteil zur Ausweisung Berufung einlegen könnten. Europaminister David Lidington  bekräftigte seinerseits in einem „Fringe Meeting“, die EU sei zu bürokratisch, wettbewerbsfeindlich und überreguliert  geworden. Im Vorfeld des geplanten EU-Referendums in Großbritannien böten die Jahre 2015 und 2016 daher eine Chance für echte Reformen, so der Minister.

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