Freitag, 19. April 2024
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EU28: Kroatien ist depressiv und so gar nicht euphorisch

Am 1. Juli ist es also so weit: Kroatien wird nach einem fast zehnjährigen Verhandlungspoker als 28. Mitgliedsland zur Europäischen Union gehören. Für die Balkan-Republik, die sich 1991 vom Vielvölkerstaat Jugoslawien abgespalten hatte und sodann vier Jahre  Schauplatz  kriegerischer Ereignisse  war, markiert dieses Datum eine gewaltige Zäsur, die indes gleichermaßen mit Hoffnungen und Ängsten verbunden ist.

[[image1]]Obzwar die 4,4 Millionen Kroaten in den nächsten Jahren mit rund 12 Milliarden Euro aus Brüssel gesponsert werden, dürften die mitternächtlichen Feierlichkeiten in Zagreb und anderen Städten am kommenden Sonntag eher gedämpft ausfallen. Die Begeisterung für Europa war schon im Jänner 2012 beim EU-Referendum eher mäßig, weil die Wahlbeteiligung damals unter 50 Prozent lag. Als die Bürgerinnen und Bürger Mitte April erstmals ihre Abgeordneten für das Europaparlament wählten, stimmte gar nur jeder fünfte Wahlberechtigte ab. Für Euphorie scheint weit und breit kein Platz zu sein – vielmehr wird Kroatien, nachdem es brav EU-Gesetze übernommen, allerlei Konzessionen gemacht und diverse Reformen angegangen hat, von einer mysteriösen Depression geplagt.

Das hat einige handfeste Ursachen, für deren Behebung auch die EU nicht über Nacht sorgen wird können: Die Wirtschaftsflaute Kroatiens in den vergangenen Jahren ist prolongiert, heuer wird das Bruttoinlands-produkt voraussichtlich wieder um ein Prozent schrumpfen, und die Arbeitslosenrate steuert auf 20 Prozent zu – Tendenz steigend. Die Kroaten wissen, dass ihr Land EU-weit beispielsweise wegen der gängigen Korruption und anderer Schwächen heftig kritisiert wird und  der EU-Newcomer seitens der neuen Partner mit viel Mißtrauen und eher wenig Sympathie bedacht wird. So etwa warf das deutsche Massenblatt „Bild“ kürzlich die Frage auf, ob denn Kroatien nicht „das nächste Milliardengrab“ sein werde. Angesichts dieser gespannten Stimmung wächst die Skepsis im Lande, ob die selbst krisengeschüttelte und obendrein ziemlich zerstrittene Union Kroatien überhaupt wirkungsvolle Unterstützung bieten könne, um aus der Misere zu gelangen.  Die derzeit 350.000 Arbeitslosen etwa dürfen vorerst jedenfalls nicht auf einen Job in Österreich oder Deutschland hoffen, weil der Zugang zu diesen Arbeitsmärkten noch jahrelang versperrt ist. Auch die Hoffnung auf eine rasche Einführung des Euro ist ebenso unrealistisch: „Der Eintritt in die Währungsunion muss unabhängig von den Wirtschaftszyklen unseres Landes gründlich geplant werden“, schrieb die linksliberale kroatische Tageszeitung „Novi List“. Und weiter: „Wir brauchen eine Analyse, mit welchen Kosten wir zu rechnen haben und welcher Nutzen überhaupt zu erwarten ist. In der Euro-Zone fließen nicht nur Milch und Honig“. Schließlich werden auch die neuen EU-Strukturhilfen nicht so rasch Wirkung zeigen und der Warenverkehr trotz wegfallender Zölle nicht so umgehend boomen, wie sich das viele wünschen.

Chancen auf ausländische Direktinvestitionen

Freilich: Kroatiens Beitritt  wird auch in den übrigen EU-Staaten mit ziemlich gemischten, überwiegend nicht gerade optimistischen Gefühlen  quittiert. Das Land, ist häufig zu hören, sei noch nicht reif für diesen Schritt, knüpfe viel  zu hohe Erwartungen an die Mitgliedschaft, ergehe sich  teilweise  sogar in Illusionen und müsse sich zunächst einmal  sputen, um  die in vielen Bereichen nötigen  Reformen in Gang zu setzen. Kroatien habe sich zwar hinsichtlich Grundrechten, Rechtsstaatlichkeit oder Demokratieverständnis weitgehend den EU-Standards angenähert und beispielsweise den Grenzkonflikt mit Slowenien beigelegt, müsse sich aber – ähnlich wie Rumänien und Bulgarien, die vor ihrem Beitritt auch immer wieder versichert haben, dass bei ihnen alles paletti wäre – weiterhin um politische Stabilität bemühen. Ein europafreundlicher Präsident (Ivo Josipovic seit Februar 2010) und die proeuropäische Regierung unter Premierminister Zoran Milanovic (ab Dezember 2011) seien zwar zur Bekämpfung tiefgreifender Missstände, den Folgen der langjährigen chronischen Misswirtschaft, angetreten, aber ob ihre Bemühungen, etwa um die Erneuerung der gesellschaftlichen Werte und des Justizsystems, ausreichend sein werden, muss sich erst weisen.

Mit dem EU-Beitritt sind die Chancen – zumindest theoretisch – gegeben, dass die Kapitalzuflüsse steigen, die ausländischen Direktinvestitionen zunehmen, Investitionen in den richtigen Bereichen getätigt werden, der Bankensektor robuster bzw. die Privatisierung beschleunigt wird, dass sich die Industrieproduktion wieder erfängt, der Außenhandel Fahrt aufnimmt, die Exportquote erhöht wird – und…und…und. Das alles wird jedoch bloß unter der Voraussetzung möglich sein, wenn sich Kroatien nicht primär auf die EU verlässt und permanent sämtliche Hände ausstreckt, sondern seine Hausaufgaben ambitioniert erledigt, noch dazu in einem Höllentempo. Dazu gehört naturgemäß, wirtschaftsfreundliche Bedingungen für Investoren zu schaffen, indem zum Beispiel die Effizienz  des öffentlichen Sektors gesteigert bzw. unflexible Arbeitsmarkt-bestimmungen und der schwache Anlegerschutz beseitigt werden. Nur dann wird das Land seine vorhandenen Stärken – das sind etwa die Tourismusbranche, das gut ausgebaute Straßennetz und der aufstrebende Energiesektor – ausspielen und letztlich die Vorteile des EU-Beitritts lukrieren können. Erst am Ende dieser Radikalkur sollte es auch der kroatischen Bevölkerung, die derzeit an der mit 57 Prozent geringsten Erwerbsquote aller EU-Länder laboriert, spürbar besser gehen.

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