Freitag, 19. April 2024
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Buona notte, Italia

Das muss man sich einfach auf der Zunge zergehen lassen – wie Bitterschokolade: Vor kurzem hatte es noch ganz so ausgesehen, als würde Italien keine neue Regierung kriegen können und endgültig im Chaos versinken. Seit kurzem hat das krisengebeutelte Land mit Enrico Letta einen Ministerpräsidenten und eine wirklich große Koalitionsregierung, die gleich aus 63 Personen besteht.

[[image1]]Der Sozialdemokrat hatte ein „nüchternes und schlankes“ Kabinett angekündigt – jetzt gibt es einen Premier, eine Vize, 21 Minister sowie gleich 40 Vizeminister und Staatssekretäre. Damit ist Enrico Letta eine Art Garant, dass die Italiener den Weg ins Chaos fortsetzen werden.

Die zur großen Freude des bald 88jährigen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano zu Stande gekommene Allianz aus fünf Parteien hat nämlich der italienischen Tradition entsprechend ein baldiges Ablaufdatum: Es ist geradezu unvorstellbar, dass es zwischen der linksbürgerlichen „Partito Democratico“ („Demokratische Partei“) und ihren jetzigen Bündnispartnern nicht schon in absehbarer Zeit Zoff geben wird. Dafür wird vor allem die zweitstärkste Kraft sorgen – Silvio Berlusconis „Popolo della Libertà“ („Volk der Freiheit“). Auch Mario Montis „Scelta Civica“ („Bürgerwahl“), die liberalen „Radicali Italiani“ („Radikale Partei“) sowie die „Unione dei Democratici Cristiani e Democratici di Centro“ („Union der Christ- und Zentrumsdemokraten“) werden ihre Bereitschaft zu konstruktiver Kooperation erst unter Beweis stellen müssen.

Das Parlament hat dem bislang eher unscheinbaren Signore Letta und seinem Mega-Kabinett zwar zunächst einmal mehrheitlich das Vertrauen ausgesprochen, weil nunmehr zumindest der monatelange Stillstand nach den Parlamentswahlen beendet und eine Neuwahl vermieden werden konnte. Ob die neue Koalitionsregierung, die nur auf Grund des monströsen Postenschachers möglich geworden ist, in Ruhe daran gehen kann,  die gewaltigen Probleme des hochverschuldeten Landes endlich anzuzpacken, muss allerdings bezweifelt werden. Und obwohl mit dem parteilosen bisherigen Generaldirektor der Banca d‘Italia, Fabrizio Saccomanni, ein durchaus brauchbarer Finanz- und Wirtschaftsminister bestellt wurde, bleibt fraglich, ob Lettas Anti-Krisen-Programm das halten wird, was der 47jährige Neo-Premier alles versprochen hat.

Letta hat kaum eine Chance

Der Absturz des Landes von der langjährigen Stagnation in eine  dramatisch anmutende Rezession könne nur gebremst werden, sagte Letta in seiner Regierungserklärung, wenn Italiens Wirtschaft wieder so rasch wie möglich ein Wachstum schaffe. Der Premier vertritt die Auffassung, dass eine wachstumsorientierte Politik den Aufschwung unterstützen müsse, denn „Sparprogramme allein töten uns“. Eine Abkehr vom strikten Sparkurs empfiehlt er ungebeten auch der Europäischen Union, die zu „einem Motor nachhaltigen Wachstums“ werden sollte. Brüssel konterte umgehend und ermahnte Italien, seine Versprechen bezüglich Sparkurs auch einzuhalten. In der EU-Zentrale ist die Bereitschaft, mit Letta über den Stabilitätspakt neu zu verhandeln und  die Defizit-Auflagen für Italien wieder abzuschwächen, gleich null.

Es versteht sich von selbst, dass der Neue an der Spitze nicht lange im Amt bleiben kann, wenn er lediglich über Sparen redet. Daher kündigte Letta ziemlich viel an, was den ebenso verunsicherten wie frustrierten Wählern durchaus gefällt: etwa den Steuerdruck verringern zu wollen, ohne neue Schulden zu machen (Anm.: wie geht das eigentlich?); weiters Maßnahmen gegen die hohe Arbeitslosigkeit vor allem der Jungen; ferner ein „umfassenderes Sozialsystem“, das insbesonders den Frauen und Leiharbeitern mehr bringen solle; schlussendlich denkt die neue Regierung sogar über die Einführung eines Mindestlohns nach. Zugleich stellte Letta, wie das neue Premierminister halt häufig tun, demokratie-politische Reformen in den Raum, etwa bei der Parteienfinanzierung und den Abgeordnetengehältern. Auch das Wahlsystem müsse erneuert und eine Verfassungsreform angegangen werden, versprach Letta. Das klingt ja alles so richtig toll – doch wenn man dann hört, dass ausgerechnet Silvio Berlusconi um die Leitung dieses „Verfassungskonvents“ kämpft, kann man für die Regierung Letta und Italien nur schwarz sehen. Buona notte, Italia …

Dass der bereits 76jährige Bunga-Bunga-Ex-Premier, der dem Land in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht schweren Schaden zugefügt hat, im Hintergrund noch immer die Fäden zu ziehen versucht, ist – gelinde gesagt – eine Katastrophe. Das deutsche Magazin „Der Spiegel“ hatte schon Mitte 2011, als die Regierungskrise ihrem Höhepunkt zusteuerte und die internationalen Finanzmärkte endgültig das Vertrauen in Italien verloren, den Niedergang der südlichen Republik in einer Coverstory unter dem Titel „Ciao bella!“ beschrieben. Zuvor hat Romano Prodi schon alles versucht, den unfähigen Polit-Selbstdarsteller auszubremsen und das Land wieder auf einen vernünftigen Kurs zu bringen. Das misslang ihm ebenso wie zuletzt Mario Monti, der nach Berlusconis Rausschmiss die Aufräumarbeiten übernehmen musste, letztlich aber unbedankt blieb und haushoch die Wahlen verlor. Enrico Letta sollte also wissen, was ihm blüht: Die 17 Jahre, in denen ein Mann, der es vom Staubsaugervertreter und Nachtklubsänger zum Multimilliardär gebracht hatte, den Ton angab, haben tiefe Spuren hinterlassen. „Der Berlusconismus war wie ein süßes Gift, erst Genuss, dann Laster“, formulierte der „Spiegel“ damals. „Es wird lange Jahre brauchen, ihn diesem wundersamen Land wieder abzugewöhnen“.

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