Dienstag, 19. März 2024
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Basel IV: Europas Banken müssen auf ein Wunder hoffen

Anders als die US-amerikanischen Rivalen ist der europäische Bankensektor vom Niedergang bedroht. © EU-InfothekDiese armen Banken! Eine solche Mitleidsbezeugung ist zwar seit rund acht Jahren aus naheliegenden Gründen tabu, doch jetzt wäre es an der Zeit, Geldinstitute ausnahmsweise wieder einmal zu bedauern – zumindest ein bisschen. Aus den beinahe täglichen Horrormeldungen zum aktuellen Zustand der Branche ragte eine besonders heraus: Der Internationale Währungsfonds IWF hat kürzlich jede dritte  europäische Bank als nicht überlebensfähig eingestuft. Selbst wenn das Wirtschaftswachstum wieder deutlich anzieht, werden diese Geldhäuser zu wenig verdienen, um weiter existieren zu können. Obendrein werden 26 Prozent der Institute laut Schätzung  der Experten enorme Mühe haben, um künftig ausreichend Gewinne zu erzielen. Alles in allem stehen Geschäftsvolumina in Höhe von 7,6 Billionen Euro auf dem Spiel sowie laut Prognose  des US-Datenanbieters Bloomberg fast 40.000 Stellen vor dem Aus.

Anders als die US-amerikanischen Rivalen ist der europäische Bankensektor vom Niedergang bedroht. Nachdem in den Staaten, wo die Malaise ja begonnen hat, zahllose Institute in die Pleite geschickt wurden, schaut es dort wieder ungleich besser aus:  Von den Riesengewinnen, die etwa der Branchenprimus J.P. Morgen Chase, aber auch Mitbewerber Citigroup  abliefern, können die Europäer nur träumen. Am alten Kontinent sind einstmals erratische Monumente wie die Deutsche Bank in massive Turbulenzen geschlittert, italienische Geldhäuser wie Monte Paschi di Siena torkeln seit Monaten am Rande der Ruins dahin, und in anderen Ländern kracht es ebenfalls an allen Ecken und Enden: In höchster Not streichen  die Geldfirmen  jeweils tausende Jobs – die niederländische ING Groep ebenso wie die deutsche Commerzbank, die spanische Banco Popular Español und etliche andere. Acht Jahre nach der großen Bankenkrise ist von einer echten Sanierung oder Konsolidierung nicht einmal ansatzweise etwas zu bemerken. Und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich im Bankensektor die nächste Explosion ereignet. 

Europas Bankenszene, die beim letzten Mal alles andere als unverschuldet in ein Dilemma gerasselt ist, aus dem sie von den öffentlichen Händen  mit milliardenschweren Rettungsprogrammen bugsiert werden konnte, erlebt nunmehr eine Misere der völlig anderen Art: Die Banker, vor zehn Jahren noch vielfach bewunderte Superstars der Wirtschaft, mussten notgedrungen an die Kandare genommen werden – dergestalt sollte verhindert werden, dass sie aus nackter Gier weiterhin windige Geschäfte machen und auf die Nase fallen.  Sie verloren aber nicht nur ihre einstige Reputation, sondern auch ihre frühere Allmacht und den gewohnten Handlungsspielraum. Grundsätzlich war es – nach all dem, was passiert ist – alternativlos, auf eine  bessere Eigenkapitalausstattung  zu pochen, weil diese ohnedies schon immer zu wünschen übrig gelassen hatte. Im Zuge dieser Bestrebungen, die von einem international besetzten Gremium namens „Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht“ realisiert wurden, kam es jedenfalls zu einer Flut von Vorschriften, die für die Geldinstitute eine Art Zwangsjacke geworden sind.

 

Das Drama in vier Akten

 

Das bislang noch in den Sternen stehende Projekt Basel IV, das an dieser Stelle in den vergangenen zwei Wochen an dieser Stelle behandelt wurde, könnte der vierte Akt in einem Drama mit bösen Folgen für das europäische Bankensystem werden. Bislang ist – in aller Kürze zusammengefasst – bereits folgendes passiert:

 

BASEL I

Die eben angesprochene, bereits 1974 gegründete Baseler Institution machte 1988 erstmals Furore, weil  die Zentralbankpräsidenten der G10-Länder längst besorgt waren, dass das Eigenkapital der weltweit wichtigsten Banken auf ein gefährliches Niveau gefallen war.  Die Vereinbarungen unter dem Codewort Basel I, die in mehr als hundert Staaten zum Standard wurden, zielten damals auf die Sicherung einer angemessenen Eigenkapitalausstattung und die Schaffung einheitlicher internationaler Wettbewerbsbedingungen ab. Vor allem sollten auf diese Weise die Insolvenzrisiken der Banken sowie mögliche Schäden für die Einleger im Fall des Falles  verringert werden. Zugleich wurde durch die neuen Anforderungen beim Eigenkapital automatisch die Praxis bei Kreditvergaben limitiert.

 

BASEL II

Seit 1999 wurde darüber verhandelt, auf welche Weise die Geldinstitute noch mehr an die kurze Leine genommen werden könnten. Im Juni 2004 legte der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht das nächste Reformpaket vor, das stärker am tatsächlichen Risiko von Kreditinstituten orientiert war. Es bestand aus Anforderungen für Mindesteigenkapital, Regeln für die Überprüfungsprozesse durch die Bankaufsichten sowie  Bestimmungen für eine erweiterte qualitative und quantitative Offenlegung. Die Banken in  den EU-Staaten mussten die strengeren Regeln ab  Anfang 2007 anwenden, in den Vereinigten Staaten hatte man es indes nicht so eilig.

 

BASEL III

Mit dem Ziel, die Regulierung, die Aufsichtsbehörden und das Risikomanagement  im Bankensektor massiv zu stärken, sollte das im Dezember 2010 präsentierte dritte Regelwerk ein großer Schritt nach vorne werden. Darin definierte der Baseler Ausschuss – als Reaktion auf die weltweite Finanzkrise – das nötige Eigenkapital und die erforderlichen Mindestquoten neu und ordnete überdies Höchstverschuldungsquoten – im Fachjargon „Leverage Ratio“ – an. Basel III  löste ab 2013 schrittweise die Basel II-Regeln ab, ist aber zum einen bis heute noch nicht restlos in Kraft getreten und wird zum anderen schon längst heftig als suboptimal kritisiert. Deshalb wird seit Monaten über ein Da Capo verhandelt.

 

BASEL IV

Jetzt soll dem Vernehmen nach erneut die Daumenschraube angezogen werden, weil mit Basel IV gewisse Schwachstellen an der bisherigen Regulierungsoffensive korrigiert werden sollen. Im Zuge dieser angepeilten Nachbesserung erhebt sich die Frage, ob damit nicht zu schnell bzw. zu brutal über’s Ziel hinausgeschossen wird? So etwa ist es schwer verständlich, warum regionale Bankinstitute künftig ebenso streng  behandelt werden sollen wie europäische Systembanken. Oder weshalb  brave, kleine Hausbanken, die an der Krise von 2008 beileibe nicht schuld gewesen sind, genauso der Regulierungswut unterliegen sollen  wie die schwarzen Schafe von damals. Der wohl gravierendste Kritikpunkt an Basel IV ist darin zu sehen, dass die europäischen Banken von den verschärften Bestimmungen weitaus schwerer getroffen wären als die US-Finanzriesen. Erstens wäre ein massiver Bedarf an zusätzlichem Eigenkapital – die Größenordnung von 300 Milliarden Euro schwirrt derzeit durch die Gegend – einfach nicht zu stemmen, und zweitens würden die neuen Spielregeln nicht bloß die Kreditvergabe an die Wirtschaft erschweren, sondern letztlich auch die wirtschaftliche Entwicklung etwa der EU-Staaten bremsen. Bleibt zu hoffen, dass sich Europa nicht dem US-Diktat beugt und die Verhandlungen noch platzen lässt.

 

Das Dilemma der Banker

Die vielen und immer strengeren Regularien, die von Insidern teilweise als marktmanipulierend bis vollkommen sinnlos eingestuft und abgelehnt  werden, und die damit verbundenen beträchtlichen Kosten  haben  Europas  Banker, einstmals die allmächtigen Drahtziehern der Wirtschaft,  in arme, bemitleidenswerte Teufel verwandelt, deren geschäftliche Spielräume enorm eingeengt sind. Die derzeitige Misere, aus der es praktisch kein Entkommen zu geben scheint, hat freilich noch eine zweite Seite, für die die Europäische Zentralbank (EZB) sorgt: Die Währungshüter in Frankfurt wollen nämlich mit ihrer jahrelangen Geldpolitik das Wirtschaftswachstum stimulieren – was an sich lobenswert ist, doch die Banken mit voller Wucht trifft. Denn die niedrigen und negativen Zinsen sind für die Banken eindeutig kontraproduktiv, weil sie deren bisherige Geschäftsmodelle enorm unter Druck setzen und sogar grundsätzlich in Frage stellen. Der gesamten Branche macht es schwer zu schaffen, dass im angestammten Kreditgeschäft angesichts gesunkener Zinssätze und trotz gestiegener Nachfrage und gelockerten  Kreditbedingungen kaum noch Geld zu verdienen ist. Die Institute haben folglich keine andere Wahl, als die hohen Kosten etwa durch strengere  Auflagen oder durch Investitionen in ihre digitale Infrastruktur in Form von Gebührenerhöhungen beispielsweise auf Konten an ihre Kunden weiterzugeben.

 

Kaum Zinsen, kaum Erträge, wenn überhaupt, dann sinkende Gewinne in den Bilanzen, aber zunehmend strengere Auflagen –  da bleibt den Banken im Wettbewerb bei  Margen und Preise lediglich  ein probates Mittel  übrig: die Kosten zu senken, was am besten  beim Personal funktioniert, sowie alles abzuverkaufen, was nicht niet- und nagelfest ist, wie das beispielsweise die angeschlagene Bank Austria-Mutter UniCredit gerade vorexerziert. Böse Zungen meinen, genau diese Schrumpfkur  sei das Ziel der EZB: Die Währungshüter würden die Überzeugung vertreten, dass die Konsolidierung des Sektors nur auf diese Tour möglich sei. Die europäische Bankenlandschaft sei nämlich, gerade in der Eurozone, massiv überbesetzt: Rund 1.700 Institute in Deutschland oder mehr als 600 in Italien, die in einem hohen Ausmaß noch dazu unterkapitalisiert und ohne Chance auf frisches Kapital seien, weil der Kapitalmarkt für sie nicht in Betracht kommt – derartige Strukturen sind künftig einfach nicht mehr  denkbar.

 

Allerdings schlägt die EZB deshalb nicht lautstark Alarm, wie das der IWF unlängst getan hat: Die Zentralbanker von Mario Draghi abwärts äußern sich zum Zustand der Bankenbranche öffentlich eher verhalten bis beschönigend, und dabei wird man den Eindruck nicht los, dass sie den Strukturwandel sogar behindern, weil sie – wie auch viele, beispielsweise  die deutschen  Politiker, die dieses unangenehme Thema anscheinend am liebsten bloß aussitzen möchten – selbst schwerst marode Banken anscheinend für ewige Zeiten  am Leben halten wollen. Die Alternative, dass chancenlose Zombie-Banken, deren Börsenwert bereits pulverisiert ist,  einfach Pleite gehen zu lassen bzw. abzuwickeln, findet allerdings europaweit nur wenig Zuspruch. Anders in den USA: Dort ließ man weit mehr als hundert Institute  in die Insolvenz schlittern, wobei die Aufräumarbeiten ohne beträchtliche Schäden über die Bühne gegangen sind und die gesamte Branche nunmehr wieder gestärkt agieren kann.

 

Die Vorschriften entrümpeln

Fassen wir zusammen: Die zahllosen Vorschriften für Banken müssten dringend entrümpelt, die teilweise widersprüchlichen oder unsinnigen Auflagen schleunigst evaluiert und sodann bei Bedarf eliminiert werden. Die Institute, die derzeit ihre Geschäfte nur noch mit angezogener Handbremse  machen dürfen, sollen ihre ureigenste Aufgabe – die Versorgung der Wirtschaft mit Geld – erfüllen, ohne dabei von der Bürokratie halb erwürgt zu werden. Selbstverständlich bedarf es dabei funktionierender Kontrollmechanismen – doch genau das ist das Problem in etlichen Staaten. 

 

Am Beispiel Österreich, das am Hypo-Debakel noch lange würgen wird, zeigt sich, dass  eine optimal funktionierende Bankenaufsicht nicht viel mehr als ein Wunschtraum ist. Der Rechnungshof hat nämlich erst vor wenigen Tagen in einem Rohbericht auf 126 Seiten aufgelistet, wie das Zusammenspiel von Finanzministerium, der diesem unterstellten Finanzmarktaufsicht (FMA) und der Österreichischen Nationalbank (OeNB) zu verbessern wäre. Kritisiert wird darin etwa ein „hoher Ressourcenverbrauch“, eine beträchtliche Erhöhung bei den Prüfkosten sowie organisatorische Hürden inklusive einem hohen Abstimmungsbedarf, die eine effiziente Arbeit dieses dualen Systems erschweren. So etwa müssen derzeit „mindestens 24 Organisationseinheiten“ von FMA und OeNB kooperieren, was auf Grund der durchaus komplizierten Kommunikation als problematisch angesehen wird. Der Rechnungshof wird nach Einholung der Stellungnahmen in seinem Endbericht – übrigens nicht zum ersten Mal – fordern, dass die beiden Kontrollorgane künftig zusammengeführt werden müssten. Womit freilich noch immer nicht alles roger wäre, denn für die Aufsicht der systemrelevanten rot-weiß-roten Banken ist seit Herbst 2015 die EZB zuständig.

 

Ohne den Bankern die Absolution erteilen zu wollen, darf nicht übersehen werden, dass ihre vielfältigen Troubles nicht hausgemacht sind, sondern großteils von außen: Die EZB, die mit ihrer Liquiditätsschwemme zahlreiche Institute künstlich über Wasser gehalten und mit den Banken-Stresstests gerne für  allgemeine Kalmierung gesorgt hat, macht es ihnen eben so schwer wie der Baseler Ausschuss, der im Bestreben, die Welt vor den Geldinstituten zu schützen, bereits mehrere Belastungspakete geschnürt hat, die sich allesamt als nicht optimal erwiesen.  Noch dazu sind die meisten Politiker in der Regel  schmähstad’, wenn es um diffizile Banken-Probleme geht, vielleicht aus Angst, dass sie die Bürger mit klaren Ansagen kopfscheu machen könnten, womöglich aber auch aus fehlender Kompetenz.  Man kann  also nur inständig hoffen, dass der große Kracher in dieser Branche doch noch irgendwie verhindert werden kann…

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