Dienstag, 19. März 2024
Startseite / Allgemein / Alexander Van der Bellen: „Habe in den letzten Wochen genau hingehört, wo die Österreicher der Schuh drückt“

Alexander Van der Bellen: „Habe in den letzten Wochen genau hingehört, wo die Österreicher der Schuh drückt“

Wird der Rechtsruck in Österreich mit der Wahl von FPÖ-Kandidat Norbert Hofer am 22. Mai zum Bundespräsidenten perfekt, oder schafft Alexander Van der Bellen die Überraschung? EU-Infothek sprach mit dem früheren Parteichef der Grünen, der als unabhängiger Kandidat in die Stichwahl geht.

Die Ihnen knapp unterlegene unabhängige Kandidatin Irmgard Griss hat nach dem 1. Wahldurchgang eine Spaltung der Gesellschaft konstatiert. Sehen Sie das auch so und was muss man dagegen tun?

Wir leben in unruhigen Zeiten. Gerade deshalb braucht es einen Bundespräsidenten, der das Land zusammenhält. Mir ist es sehr wichtig, immer das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. Es ist die Sorge um die Demokratie, die Sorge um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, die mich letztlich dazu bewogen hat, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass wir für Österreich alle gemeinsam mehr erreichen können, als jeder alleine.
Die Spitzen von SPÖ und ÖVP haben nach dem katastrophalen Abschneiden ihrer Präsidentschaftskandidaten gemeint, dass sie das Signal der Wähler verstehen.

Glauben Sie, dass die Regierung nun weniger streiten wird und ihre Performance steigern kann?

Der erste Wahlgang war sicher auch eine Denkzettelwahl, ein Ausdruck der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik von Faymann/Mitterlehner.  Ich hoffe, dass sich nach der Analyse des Ergebnisses die Arbeit der Bundesregierung verbessert. Ich höre von Bürgerinnen und Bürgern immer wieder, wie unzufrieden viele mit der Bundesregierung sind, weil so viel gestritten und so wenig zusammengearbeitet wird. Hick-Hack und wechselseitiges Blockieren bringen unser Land nicht weiter. Österreich war immer dann stark, wenn das Gemeinsame in den Vordergrund gestellt wurde.

Teilen Sie die Einschätzung von Bürgermeister Häupl, dass es 2017 Neuwahlen geben wird?

Ich schätze Michael Häupl. Er tätigt solche Aussagen nicht unüberlegt. Doch die unverzichtbare Aufgabe des Bundespräsidenten – oder besser eines Kandidaten für dieses Amt – ist es nicht zu spekulieren, sondern gerade in schwierigen Zeiten für eine Machtbalance im Staat zu sorgen. Dazu braucht es einen Präsidenten, der über Parteigrenzen hinweg zwischen verschiedenen Positionen vermittelt, ausgleicht und überlegte Lösungen im Sinne des Landes einmahnt.

Laut Wähleranalyse schneiden Sie beim Bereich „die Sorgen der Bevölkerung verstehen“ deutlich schlechter als ihr Mitbewerber um das Amt des Bundespräsidenten, Norbert Hofer, ab.  Bereitet Ihnen das Kopfzerbrechen?

Man soll solche Wähleranalysen nicht überbewerten. Ich habe in den letzten Wochen in unzähligen direkten Gesprächen in ganz Österreich genau hingehört, wo der Schuh drückt.  Die Bürgerinnen und  Bürger wollen, dass endlich etwas weitergeht in unserem Land. Bei vielen wichtigen Zukunftsthemen, wie die Bildung unserer Kinder, eine moderne Wirtschaftspolitik die Arbeitsplätze schafft, oder bei den Herausforderungen durch die Flüchtlingsbewegungen,  arbeiten SPÖ und ÖVP in der Regierung oft nicht miteinander sondern gegeneinander. Ich möchte als Bundespräsident die Zusammenarbeit einmahnen und vermittelnd unterstützen.

Alexander Van der Bellen im Inteview mit EU-Infothek. © Amélie ChapalainMit welchen Themen wollen Sie die Wähler von Griss, Hundstorfer und Khol sowie bisherige Nichtwähler gewinnen?

Ich möchte alle Bürgerinnen und Bürger einladen, ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen, auch jene, die im ersten Durchgang einer anderen Kandidatin oder Kandidaten ihre Stimme gegeben haben. 500.000 Menschen haben keine Arbeit. Da verstehe ich jeden einzelnen, dass er Sorgen hat. Und Herrn Faymann und Herrn Mitterlehner würde ich als Bundespräsident jedenfalls ermahnen, mehr für gute Bildung und Arbeitsplätze zu tun. Ich möchte als Türöffner im Ausland den erfolgreichen Kurs von Heinz Fischer fortsetzen. Und mich als überparteilicher Bundespräsident dafür einsetzen, dass Österreichs gutes Ansehen in der Welt und in Europa weiter gestärkt wird.

Applaus von Le Pen & Co stellt Österreich in ein falsches Eck

Stören Sie die vielfach negativen Kommentare aus dem Ausland zum Ausgang der ersten Wahlrunde – Stichwort Hackenkreuzschnitzel -, schließlich gibt es in mehreren europäischen Ländern starke rechte Parteien? Außerdem wollen sich die Österreicher nicht vorschreiben lassen, wen sie wählen sollen?

Die Entscheidung über den zukünftigen Bundespräsidenten der Republik Österreich fällt hier in diesem Land. Die österreichischen Wählerinnen und Wähler bestimmen, niemand sonst. Der Applaus von Marie Le Pen, Jobbik, Geert Wilders und der deutschen AfD für das Wahlergebnis stellt Österreich jedenfalls in ein falsches Eck. Unsere Rolle, unsere Geschichte und unsere Erfolge in Europa gehören nicht in dieses Eck.

Eine bessere Aufteilung der Flüchtlinge auf ganz Europa ist weiter nicht in Sicht und in Österreich dürfte die geplante Obergrenze bei Asylanträgen bald erreicht werden. Sind daran anschließend Abschiebungen unausweichlich?

Ich will geordnete Verhältnisse. Wir müssen zwischen Schutzsuchenden und Arbeitsmigranten unterscheiden. Wir sind verpflichtet, Menschen, die vor Krieg und Folter flüchten, zu helfen. Klar ist aber auch, dass diese Menschen an der Grenze registriert werden sollen. Was ich nicht will, sind neue Stacheldrahtzäune mitten in Europa. Grenzschließungen würden auf Dauer Milliardenverluste für unsere Unternehmen bedeuten. Die Arbeitslosigkeit würde weiter steigen.

Würden Sie sich als Bundespräsident dafür stark machen, dass andere Länder mehr Flüchtlinge aufnehmen als bisher?

Ein Bundespräsident ist kein Ersatz-Innenminister in der Hofburg. Aufgabe des Bundespräsidenten ist es, zu vermitteln und auszugleichen, über Parteigrenzen hinweg. Und die Bundesregierung, aber auch die Landeshauptleute daran zu erinnern, dass es ihre Aufgabe ist, nach vernünftigen Lösungen zu suchen statt zu streiten und sich wechselseitig zu blockieren. Auf europäischer Ebene würde ich jedenfalls bei meinen Amtskollegen für eine faire Aufteilung von Flüchtlingen in Europa werben.

Viele Österreicher fürchten, dass ihnen Schutzsuchende die Arbeitsplätze wegnehmen. Was halten Sie dem entgegen?

Wir haben gerade 500.000 Arbeitslose. Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen flüchten, haben derzeit keine Chance auf Aufnahme bei uns. Wenn Österreich sich aber, so wie Ungarn, isoliert und von Europa abwendet, wird das Arbeitsplätze vernichten und der Wirtschaft schaden.

Die Affäre Böhmermann hat hohe Wellen geschlagen. Haben Sie Verständnis für die Klage des türkischen Präsidenten Erdogan bzw. wie weit sollen und dürfen Satiriker gehen?

Ich hätte die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht erteilt. Glücklicherweise existiert dieser Paragraph in Österreich nicht. Herr Erdogan soll sich an die zivilen Gerichte wenden, wenn er will und es dort ausfechten.

Der „Flüchtlings-Deal“ mit der Türkei und die zugesagte Visa Freiheit für türkische Staatsbürger ist umstritten. Wie ist Ihre Position dazu?

Es wäre schön, wenn Erdogan eine andere Politik machen würde. Nichts desto weniger muss die EU mit den Ländern kooperieren, wo Millionen von Flüchtlingen vorläufig untergekommen sind, also mit der Türkei, Jordanien und dem Libanon, und vor Ort mit Geld helfen. Das soll aber nicht von der Tatsache ablenken, dass Erdogans Vorgehen gegen die Kurden inakzeptabel ist. Ob der Deal mit der Türkei funktioniert, bleibt abzuwarten. Ich bin skeptisch.

Hat für Sie als großer EU-Befürworter die Union noch einen Sinn, sollte Großbritannien austreten?

Aus friedens- und wirtschaftspolitischer Sicht sollten wir alles tun, damit Europa nicht auseinanderbricht, sondern zusammenwächst. Was einen Brexit betrifft, so würde dieser in erster Linie für Großbritannien selbst großen wirtschaftlichen Schaden bedeuten. Angesichts der aktuellen Tendenzen eines Zerbröselns der EU wäre ein Brexit aber auch für Europa heikel. Die Zugeständnisse der EU an Großbritannien waren diesbezüglich nicht hilfreich.

Würde TTIP-Vertrag nicht unterschreiben

Wie stehen Sie zum TTIP-Abkommen, kann es ein Handelsabkommen mit den USA geben, bei dem Europa nicht den Kürzeren zieht?

Als Bundespräsident werde ich den TTIP-Vertrag nicht unterschreiben. Gerade sind geheime TTIP-Papiere veröffentlicht worden, die beweisen, dass die US-Agrarlobby bei den Geheimverhandlungen zu TTIP massiven Druck auf die EU ausübt. Ich stelle mich schützend vor die österreichischen Bäuerinnen und Bauern und die heimische Landwirtschaft. Daher fordere ich einen Verhandlungsstopp. Die EU-Kommission muss den Verhandlungsstand komplett offen legen.

Werden Sie sich für eine Föderalismus-Reform einsetzen, wenn diese von den vertretenen Parteien nach wie vor boykottiert wird?

Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass in gewissen Kompetenzbereichen bürokratische Doppelgleisigkeiten vorliegen, die nicht mehr zeitgemäß sind.

Was ist für Sie persönlich die höchste Motivation, das Bundespräsidentenamt auszufüllen?

Ich will als Bundespräsident mit Besonnenheit, Vernunft und Zuversicht das Verbindende vor das Trennende stellen. Ich will ein Bundespräsident für alle Österreicherinnen und Österreicher sein. In unruhigen Zeiten braucht es einen Präsidenten mit politischer Erfahrung, der das Land zusammenhält. Ich will, dass angesichts von 500.000 Arbeitslosen die Abwärtsspirale endlich gestoppt wird. Und ich bin der Überzeugung, dass wir alle gemeinsam nach sehr langer Zeit, nicht dem Protest, sondern der Hoffnung und dem Glauben an ein starkes Österreich zum Sieg verhelfen können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren

Finanzpolizei und BKA gelingt Schlag gegen das illegale Glücksspiel

Im Rahmen einer gemeinsamen Schwerpunktaktion mit dem Bundeskriminalamt hat die Finanzpolizei im Dezember österreichweit Glücksspielkontrollen …